Die Genesis-Affäre: Mind Control (German Edition)
überwältigen, bevor sich ein verhängnisvoller Schuss lösen konnte, der womöglich die Bordwand durchschlagen würde, was einen Absturz wahrscheinlich machte. Alles ging rasend schnell. In dem Moment, als Dutronc abdrückte, verlor LeClerc das Gleichgewicht und stürzte vornüber. Das Projektil, das sein Bein treffen sollte, bohrte sich in seinen Brustkorb. Dutronc erschrak. Es war nicht ihre Absicht gewesen, LeClerc zu erschießen. Reglos lag er vor ihr, das Hemd färbte sich rot.
Ein Polizist machte sich unentwegt Notizen, während Dutronc ihre Geschichte erzählte. Es gab keinen Grund, ihre Angaben anzuzweifeln. Abschließend fügte er hinzu: Hat in Ausübung ihrer Tätigkeit als Agentin im Kampf gegen den Terrorismus in Notwehr geschossen. Von einer Festnahme wird abgesehen.
»Wir möchten gern die Leiche sehen«, sagte ein anderer Polizist. Dutronc führte die Männer ins Flugzeug zur Cockpittür, vor der LeClerc zusammengekrümmt lag. Die Piloten saßen immer noch geschockt hinter ihren Instrumenten. Sie konnten nicht begreifen, was geschehen war und was hätte geschehen können.
Der Blutfleck war ungewöhnlich groß. LeClerc musste nach dem Schuss noch eine Weile gelebt haben, anders war es nicht zu erklären. Dutronc war erleichtert, dass die Beamten Distanz hielten und sich die Schussverletzung nicht aus der Nähe betrachteten.
»Können wir den Mann in die Pathologie bringen?«, fragte plötzlich ein Mann, der in der Kabinentür erschienen war. Sein Kollege stand drei Schritte hinter ihm. Sie hatten einen Blechsarg mit ins Flugzeug getragen.
»Wir sollten die Spurensicherung abwarten«, meinte einer der Polizisten.
»Nicht nötig«, antwortete Dutronc mit überzeugender Selbstsicherheit, »die DSGE hat bereits mit dem BND gesprochen. LeClerc soll unverzüglich und ohne Aufsehen entfernt werden. Wir wollen auf gar keinen Fall Panik auf dem Flughafen. Immerhin ist Schönefeld eines der größten Drehkreuze des deutschen Luftverkehrs. Sie können sich vorstellen, was passiert, wenn bekannt wird, dass gerade ein Terrorist in einem Flugzeug über Berlin erschossen wurde. Aber ich will Sie nicht davon abhalten, sich beim BND zu erkundigen«, sagte Dutronc und lächelte. Ihr französischer Akzent machte ihr Lächeln noch verführerischer.
»Ich denke, es wird nicht nötig sein«, sagte der Polizist, ohne zu ahnen, dass er diese Verfehlung bereuen könnte.
Die grau gekleideten Bestatter packten LeClerc an Armen und Beinen und legten ihn in den Blechsarg, verschlossen diesen und beeilten sich, ihn in den bereitstehenden Transporter zu bringen. Es schien so, als müsse alles schnell gehen. Auch Dutronc hastete die Gangway hinunter und ließ sich von dem Leichenwagen mitnehmen.
Die Polizisten befragten noch die Piloten, die Dutroncs Aussage in jeder Einzelheit bestätigten. Als sie das Flugzeug wieder verließen, war Dutronc bereits verschwunden. Für sie bestand kein Zweifel daran, dass Sandine Dutronc einen Anschlag verhindert und dabei einen Selbstmordattentäter erschossen hatte. Niemand machte sich die Mühe, auf internationalen Fahndungslisten nachzusehen, ob ein Terrorist mit Namen Patrick LeClerc vermerkt war.
»Geben Sie Gas«, forderte Dutronc den Fahrer des Leichenwagens auf, »wir haben nicht viel Zeit – er hat nur für wenige Minuten Luft.«
6
Es gab Tage, an denen einfach alles zu viel war. Lena Jansen erlebte einen solchen Tag. Erst der unerwartete Rücktritt des Bundeskanzlers, dann der Anschlag auf das Funkhaus und nicht zuletzt der rätselhafte Filmbeitrag über eine geheimnisvolle Genesis-Konferenz, die offensichtlich mit den anderen Ereignissen im Zusammenhang stand. Mehr konnte nicht passieren, dachte sie.
An Feierabend war noch lange nicht zu denken. Nur eine kurze Dusche, frische Kleidung und schon ginge es vor der Kamera mit dem nächsten Beitrag weiter, den die Redaktion gerade vorbereitete. Ein Fahrer des Senders wartete vor ihrer Haustür, um sie gleich wieder mitzunehmen. Hektik war an diesem Tag ein Synonym für das Tagesgeschäft einer TV-Journalistin geworden.
Lena Jansen liebte ihren Beruf, egal, ob es ruhig war oder extreme Situationen zu bewältigen waren. Die Zuschauer an den Fernsehschirmen durften nicht den Eindruck gewinnen, dass sie mit der Sache überfordern sein könnte. Und das hatte Lena Jansen perfekt drauf. Ihren inneren Kern mit ihrem ureigensten Gefühlsleben ließ sie niemals nach außen dringen, zumindest nicht in den Redaktionsbüros, geschweige denn
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