Die Genesis-Affäre: Mind Control (German Edition)
schwersten Verbrechen am Staat der Deutschen Demokratischen Republik und als 1989 der antifaschistische Schutzwall vom kapitalistischen Feind zerstört wurde, wurden diese Verbrecher aus dem Gefängnis befreit.« Ruschkow deutete auf den Aktenstapel.
»Moment«, fiel Dutronc ihm ins Wort, »es war doch wohl eher umgekehrt, nicht wahr? Bürger der DDR brachten die Mauer zum Einsturz. Verdrehen Sie da nicht ein wenig die Tatsachen?«
»Ach …«, murmelte Ruschkow und winkte ab.
Er nahm die Akten auf und ließ sie vor Fromm wieder auf die Tischplatte fallen. »Stell' fest, wem es wirtschaftlich schlecht geht und mache ihm ein großzügiges Angebot. Wie man das macht, wirst du ja wohl nicht vergessen haben, oder?« Fromm wusste zu gut, was Ruschkow mit großzügigem Angebot meinte.
»Das kannst du nicht verlangen«, sagte Fromm sichtlich erschüttert. »Mensch, Jan, die Zeiten haben sich verändert. Das musst auch du allmählich einsehen. Die DDR ist seit über zwanzig Jahren Geschichte. Ein Terroranschlag – okay – aber wieder in alte Stasi-Strukturen zurückfallen, da mache ich nicht mit.«
Fromm stand auf und ging zum Fenster, als ob er damit Distanz signalisieren wollte. Als das Projekt Genesis ins Leben gerufen wurde, war er von der Sache überzeugt gewesen, aber jetzt ging es ihm zu weit. Gleichwohl war ihm absolut klar, dass Ruschkow ihm keine andere Wahl lassen würde. Er befand sich in einem Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen gab.
Jan Ruschkow sah Fromm mit stechendem Blick an. Er mochte es ganz und gar nicht, wenn man ihm widersprach und seine Ideale angriff, auch wenn diese noch so verstaubt waren. Dutronc spürte, wie hier zwei Welten aufeinanderprallten, die einerseits gleiche Ziele verfolgten, andererseits unterschiedlicher nicht sein konnten. Sie sah einen Streit kommen und zog es deshalb vor, den Raum zu verlassen.
»Ich hol' mir einen Kaffee«, sagte sie im Gehen und verschwand. Wenig später hörte sie, wie beide Männer heftig aneinandergerieten. Sie zog sich in eine Art Küche zurück und wartete ab. Irgendwann würden sich die Streithähne wieder beruhigen und gemeinsam an das denken, worauf es hier ankam.
Es war zu erwarten, dass Jan Ruschkow sich durchsetzen würde, was ihr in der momentanen Situation absolut nicht behagte. Bis jetzt hatten sich Probanden ausnahmslos freiwillig für die Tests zur Verfügung gestellt, für ein fürstliches Honorar, versteht sich. Doch nun eskalierte die Situation, wobei sich Dutronc in einem Gewissenskonflikt befand. Es widersprach ihrem ethischen Empfinden, Menschen unfreiwillig in das Projekt zu ziehen und ihre Gesundheit zu gefährden. Sieben Tote waren sieben zu viel.
Ihr innerer Konflikt bestand darin, dass sie gleichzeitig dabei war, sich an einem Terroranschlag zu beteiligen, der genauso unschuldige Menschen traf, und zwar in einer Zahl, die niemand vorherzusehen vermochte. Außerdem hatte sie selbst einen Menschen hineingezogen, der mit der Sache uneingeschränkt nichts zu tun hatte: Patrick LeClerc. Ihr Gewissen trat mit ihrem Bewusstsein in Zwiespalt. War es richtig, eigene Ideale mit Terror gleichzusetzen? Ohne zu zögern nahm sie ihr Handy und wählte LeClercs Nummer. Sie hatte Glück. Solange die Anlage nicht im Einsatz war, gab es keine Probleme, eine Funkzelle zu erreichen.
»LeClerc«, meldete er sich, als er im Display sah, dass Sandine Dutronc die Anruferin war. »Wo bist du?«, fragte LeClerc.
»In der Nähe von Berlin. Bist du schon nach Genf zurückgeflogen?«
»Nein, ich habe mir gerade ein Hotelzimmer genommen. Weshalb rufst du an?«
»Ich wollte mich entschuldigen. Es tut mir leid, dass ich dir so viele Unannehmlichkeiten bereitet habe.«
Wirklich?
LeClerc schwieg.
Während Dutronc telefonierte, verließen Fromm und Ruschkow das Gelände. Als sie an der offen stehenden Küchentür vorbeikamen, sah Dutronc, dass Ruschkow die Stasi-Akten dabei hatte. In kurzen Zügen erzählte sie LeClerc, was gerade passiert war und weihte ihn in Ruschkows Pläne ein. LeClerc reagierte entsetzt und war entschlossen, etwas zu unternehmen, wobei er keine Ahnung hatte, was er tun sollte.
Fromm und Ruschkow nahmen den übriggebliebenen Geländewagen, Fromm fuhr. Als sie an der Stelle vorbeikamen, wo der andere Wagen immer noch auf der Seite lag, entwickelte Ruschkow Zorn gegen Patrick LeClerc, der mit Geschick diesen Unfall eingefädelt hatte.
Auf dem Weg nach Berlin studierte Ruschkow eine der Stasi-Akten. Es war die von Axel Talert,
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