Die Genesis-Affäre: Mind Control (German Edition)
keinen Hehl daraus, mit bestimmten Menschen noch eine Rechnung offen zu haben, und meinte jene, die wegen Republikflucht in seinem Gefängnis einsaßen, bei der Wende jedoch vorzeitig entlassen wurden. Es war für ihn wie eine persönliche Beleidigung, dass Republikflüchtige ihre Strafe nicht vollends verbüßen mussten.
In seinem Besitz befanden sich vollständige Kopien ihrer Stasi-Akten und dieser Stapel lag vor ihm auf dem Tisch. Seit zwei Jahrzehnten hob er diese Akten auf und hatte nie Zweifel daran, dass er sie eines Tages benötigen würde. Dass er sie überhaupt besaß, wusste bis zum heutigen Tag nur er selbst und ihm war es völlig egal, dass er sie damals heimlich angefertigt hatte. Als bei der Wende Akten vernichtet wurden, konnte er nur darüber lächeln, denn er verfügte ja über sein eigenes kleines Archiv, wo er fein säuberlich über jeden seiner damaligen Häftlinge Buch führte. So wusste er ganz genau, was diese Menschen heute taten und wo sie lebten.
Er starrte den Aktenstapel an und in seinem Gehirn reifte der Plan, diese Menschen, die sich dahinter verbargen, gewissermaßen einer späten Bestrafung zuzuführen. Seine Besessenheit wurde ins Unermessliche gesteigert, nicht zu vergessen sein irrwitziger Plan, die kapitalistische Welt zu zerstören.
Ihm gegenüber saß Sebastian Fromm, auch ein ehemaliger Stasi-Offizier, der zwar ebenso der untergegangenen DDR nachtrauerte, jedoch lange nicht mit dieser Verbohrtheit. Längst hatte er sich mit der Entwicklung einigermaßen abgefunden und genoss die Freiheit und den Luxus. Allerdings war er gespalten, schließlich wuchs er mit dem Sozialismus auf und dieses Gedankengut steckte nach wie vor tief in seinem Bewusstsein. Im Gegensatz zu Jan Ruschkow war er ein realistischer Mensch und konnte sich eher damit abfinden, wie es nun war. Dabei überlegte er oft, ob nicht eine Mischung aus Sozialismus und Kapitalismus eine ideale Staatsform hervorbringen würde.
Etwas abseits, an einem der Computertische angelehnt, stand Sandine Dutronc, die sich als Strahlenphysikerin für das Projekt Genesis anwerben ließ, was aufgrund ihrer terroristischen Neigung nicht wirklich schwierig gewesen war. Schon zu RAF-Zeiten war sie als junge Frau in dieser Szene aktiv gewesen. Aufmerksam verfolgte sie aktuelle Schlagzeilen, die von der Vermutung einer Neuformierung dieser Terrorzelle berichteten und war entschlossen, ihr beizutreten.
»Wir müssen noch einen Testlauf durchführen, dann die geplante Generalprobe, um sicherzugehen, dass wir das Zielobjekt hundertprozentig treffen«, sagte Ruschkow ohne jede Gefühlsregung, wie man es von ihm gewöhnt war. Fromm und Dutronc wussten genau, was dies bedeutete. Es gab kein Zurück mehr. Längst hatte das Projekt, welches ursprünglich ganz anders geplant war, eine Eigendynamik entwickelt, die aus einem vorgetäuschten Terroranschlag einen realen machen sollte.
»Haben wir Ersatz für die sieben Toten?«, fragte Ruschkow. Dutronc war überrascht. Wozu wollte er jetzt noch zusätzliche Probanden rekrutieren, an denen er die Wirkung seines Vorhabens auszuprobieren gedachte? Schließlich hatte er selbst gesagt, dass die Zeit drängt und einige Probanden waren ja noch da. Sie wagte nicht, ein Veto einzulegen und war froh, als Fromm dies tat.
Fromm runzelte die Stirn. »Tut mir leid, Jan, bei den augenblicklichen Debatten und zunehmenden Kontrollen sind die Hartz-IV-Empfänger vorsichtig geworden, was heimliche Nebenverdienste angeht. Ich will damit sagen: Wir haben niemanden gefunden«, stöhnte er in der Erwartung einer Standpauke, denn Ruschkow hasste es, wenn seinen Anordnungen nicht Folge geleistet wurde. Begründungen, mochten sie auch noch so plausibel sein, waren für ihn nichts anderes als Ausflüchte.
»Muss ich mal wieder alles selbst in Hand nehmen«, murrte er und schlug mit der flachen Hand auf den Aktenstapel, der vor ihm auf dem Tisch lag. Eine kleine Staubwolke löste sich von dem obersten Aktendeckel.
»Was ist das?«, fragte Dutronc neugierig, obwohl sie längst ahnte, was das für Akten waren. Sie hatte zwar mit der DDR nie etwas zu tun gehabt, das alte Staatswappen erkannte sie dennoch, das auf dem obersten Aktendeckel deutlich erkennbar war.
»Das, meine Liebe, sind Stasi-Akten von Verbrechern, die von DDR-Gerichten rechtmäßig verurteilt wurden.« Ruschkow stand auf und steigerte sich in einen Wutanfall, der seine Halsschlagader kräftig hervortreten ließ. »Republikflucht, meine Liebe, war eines der
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