Die Geometrie der Wolken
so aus, als ob sich sehr bald eine geeignetere Lage ergeben würde.
Die Frage blieb nur,
wann?
Wenn man wissen wollte, wie lange es dauern würde, bis das ruhigere Wetter im Ärmelkanal ankam, musste man die komplette Reihe von Werten der Ryman-Zahl analysieren, doch für die Berechnungen hatte ich nur sehr wenig Zeit. Wie sollte ich das an einem Tag schaffen? Für einen Einzelnen schien es völlig unmöglich.
Während ich noch überlegte, öffnete sich die Tür am anderen Ende des Windkanals und jemand kam herein. Zunächst dachte ich, es wäre der Windkanal-Aufseher, der mich hereingelassen hatte - Mr Blackford war nicht anzutreffen gewesen -, doch dann sah ich eine Frau mit einem kleinen braunen Lederkoffer.
Sie trug einen schwarzen Wollmantel und einen langen roten Strickschal, der locker um ihren Hals lag und im Sturm wie ein Windsack hinter ihr herflatterte. Der Mantel war offen, und darunter waren ein hoher weißer Blusenkragen, ein Pullover mit V-Ausschnitt und ein Rock zu sehen, der fast bis zum Boden reichte. Der Koffer schwang wie ein Pendel.
Sprachlos erkannte ich Gill Ryman. Mit wehenden Kleidern kam sie schnell auf mich zu und machte dabei Ausfallschritte zu beiden Seiten, weil der Wind sie fast aus dem Gleichgewicht brachte.
Sie sah älter aus, und dort, wo der Wind den Stoff an ihren Bauch presste, war deutlich zu sehen, dass sie nicht mehr schwanger war. Ihr Haar wehte im Wind parallel zum Schal, an dessen Enden die einzelnen Fransen in ihren eigenen kleinen Wirbelströmungen flatterten.
Einen Moment lang blieb ich erstarrt stehen und hatte den Eindruck, dass meine verwirrten Gefühle für sie, die so lange schmachtend im Dunkeln eingesperrt waren, plötzlich entfesselt wurden; als würde etwas aus einer geballten Faust entspringen, die sich öffnete.
»Gill!«, rief ich schließlich, stürzte auf sie zu und drückte sie an mich. Sie verharrte ein paar Sekunden lang reglos in meinen Armen, während der Wind an uns vorbeifauchte.
Die Zeit schien stillzustehen, bis Gill sich befreite - sie schob mich mit dem kleinen, braunen Koffer weg. Ich hörte mich sprechen: »Es tut mir schrecklich leid ... Ich habe geschrieben, erst gestern, aber wahrscheinlich haben Sie noch nicht...«
»Ich kann Sie nicht verstehen!«, schrie sie gegen den Wind an, taumelte und stürzte fast. Wieder hielt ich sie.
Während sie sprach, stemmten wir uns gegen den Wind, und sie musste sich an mir festhalten. Ich merkte, wie die Grenzen verwischt wurden. Es war, als würden sich in diesem Moment unsere Geister unter dem Einfluss von etwas Größerem zusammendrängen - etwas Grundsätzlichem, an dem wir teilnahmen wie Moleküle, die sich in dieselbe Richtung bewegen, weil sie der Strömung des Mediums folgen, das sie trägt.
»Ich schalte das Ding aus«, rief ich zurück.
Ich ging zum Bedienungsfeld und drückte den Knopf. Mit einem unheimlichen Seufzen kam der Ventilator zum Stehen. Der Sturm legte sich. Plötzlich war es still.
Als ich zu Gill zurückkam, setzte sie den Koffer ab. Sie näherte sich mir und musterte mich streng, während wir noch von der Windwirkung blinzelten. »Ich habe geschrieben«, sagte ich schließlich. »Wahrscheinlich nicht die richtigen Worte, aber ... es tut mir leid.«
Sie hielt sich die Ohren zu. »Hören Sie bitte einfach auf.« Dabei verzog sie das Gesicht und kniff die Augen zu.
»Sie haben mich zerstört, als Sie ihn zerstörten«, setzte sie schließlich fort, nachdem sie die Hände gesenkt und die Augen wieder geöffnet hatte, »aber ich bin nicht hergekommen, um Ihre Entschuldigung zu hören. Die kenne ich aus dem Brief. Außerdem muss auch ich mich bei Ihnen für die Sache mit dem Blut entschuldigen ... Das Ganze ist mir wirklich peinlich - ich war nicht ich selbst.« »Ich weiß.«
»Er ist erst gestern angekommen.« Sie hatte meinen Brief aus der Tasche geholt. »Mein Vater wollte nicht, dass ich heute hierherkomme. Er hat sich auch geweigert, mich zu bringen. Ich musste selbst fahren. Er mochte Wallace sehr. Seiner Meinung nach trifft Sie die volle Schuld an Wallaces Tod.«
Ich bekam ein flaues Gefühl im Magen und fühlte ein Wirbeln im Kopf. »Und an dem Ihres Kindes auch, wie ich ihn verstanden habe. Es tut mir schrecklich leid, Gill - wenn ich geahnt hätte ...«
Sie schüttelte den Kopf. »Dafür können Sie nichts, auch wenn Wallaces Tod sicher nicht geholfen hat. Aber ich hatte schon mehrere Fehlgeburten. Der Rhesusfaktor - deshalb war ich so interessiert, als Sie
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