Die Geometrie der Wolken
damals beim Mittagessen von Brecher erzählten. Es war jetzt das achte Mal, ich habe mich also langsam daran gewöhnt. Aber es scheint jedes Mal früher zu passieren, deshalb bin ich auch so früh in Kilmun abgefahren.« Sie hörte sich kühl an, als spräche sie nicht über sich selbst und ihren eigenen Körper.
»Es tut mir schrecklich leid, Gill, wirklich. Wegen des Kindes und wegen Wallace.«
»Verdammt noch mal!« Sie machte einen Schritt auf mich zu und hob den Arm, als wollte sie mich schlagen, und kniff mir dann ins Gesicht, dass es schmerzte. Ihr Gesicht war nur noch Zentimeter von meinem entfernt. »Seien Sie still! Halten Sie doch einfach den Mund!« Dann stieß sie sich von mir ab, schüttelte den Kopf und sackte schluchzend am Boden des Windkanals auf die Knie.
Ich hockte mich neben sie, tätschelte ihr vergebens die Schulter, und das Schwindelgefühl wurde so stark, dass ich kaum noch klar denken konnte.
Sie tupfte sich mit einem Taschentuch die Augen und stand auf. »Ist schon in Ordnung. Es tut mir leid. Gott sieht alles; ein reuevolles Herz wird er nicht verachten. Daran versuche ich mich immer wieder zu erinnern, wenn ich an Sie denke, Henry.«
Trotz meiner Erleichterung, dass sie mir wohl keine Gewalt mehr antun wollte, schreckte ich vor dieser Frömmelei zurück. »Gott!«, rief ich. »Wenn ich den nur kennen würde. Dann hätte ich vielleicht auch nicht immer so ein verdammtes Pech! In der Hinsicht bin ich Wallace ähnlich geworden. Nach allem, was passiert ist, kann ich einfach nicht mehr an Gott glauben.«
»Wallace hat Gott in allen Dingen gesehen«, erwiderte sie trotzig. »Das haben aber leider nur wenige verstanden.«
Die Stahltür am Ende des Windkanals schlug auf. Diesmal kam tatsächlich der Aufseher von Saunders-Roe. »Ist hier alles in Ordnung?«, fragte er misstrauisch.
»Ja, alles bestens, danke«, antwortete ich. »Ich packe jetzt wohl langsam ein. Ich bin so weit fertig.«
»Was haben Sie hier untersucht?«, fragte Gill und sah sich die Anemometer am Ende des Tunnels an, als der Aufseher wieder ging.
»Windgeschwindigkeiten an Wetterschiffen. Wir hatten fehlerhafte Werte gemeldet bekommen. Wenigstens sahen sie so aus, aber nun bin ich mir ziemlich sicher, dass sie korrekt waren. Ich muss jetzt die Zahl Ihres Ehemanns für die angrenzenden Gebiete im Nordatlantik und im Kanal errechnen. Ich weiß nicht, ob ich genug Zeit habe. Ich muss leider schnell wieder zur Fähre nach Portsmouth. Gill - ich arbeite an ... naja, es ist Krieg.«
»Natürlich«, erwiderte sie. »Ich verstehe. Ich kann Sie zum Pier fahren, wenn das hilft. Dann bekommen Sie die Fähre um sieben.«
»Das wäre toll.«
Sie suchte in der Tasche nach ihrem Autoschlüssel, hob dann den Koffer auf und ging zur Tür. Ich sammelte meine Ausrüstung ein, verstaute alles in meinem großen Seesack und folgte ihr.
»Sie leben jetzt also hier?«, fragte ich verlegen, als wir hinaus ins Abendlicht traten. Einer der Fabrikarbeiter malte gerade die Zahl 52 auf ein großes Flugboot auf einem Gestell.
»Ja«, antwortete sie. »Aber in Seaview, nicht in Cowes. Ich konnte einfach nicht mehr nach Schottland zurück, nachdem ich wieder ein Kind verloren hatte. Ich habe alle unsere Habseligkeiten hierher bringen lassen.«
»Wir könnten uns noch einmal treffen«, schlug ich vor. »Über alles reden ...«
Sie schüttelte den Kopf. »Soll ich Sie jetzt fahren oder nicht?«
»Ja, gerne. Danke.« Wir gingen auf das Auto zu. »Es scheint mir wie vom Schicksal vorbestimmt, dass Sie heute gekommen sind«, setzte ich fort.
Sie sah mich an und schwang leicht bedrohlich den Koffer. »Schicksal? Wallace hat das Wort gehasst.«
»Aber er hat doch geglaubt, dass alles vorherbestimmt ist.«
»Nicht ganz.« Wir stiegen ins Auto, einen kleinen blauen Morris mit roten Sitzen. Ich legte den Seesack auf die Rückbank, und sie reichte mir den Koffer am Steuer vorbei, so dass er auf meinem Schoß lag.
»Er glaubte also, alles sei vorherbestimmt, aber nicht ganz?«
Sie warf mir einen finsteren Blick zu. »Ich meine, dass er es nicht so religiös sah. Er hat einmal gesagt, dass das Schicksal von der unberechenbaren Beziehung verschiedener physikalischer Größen abhängt.«
Sie steckte den Schlüssel ins Zündschloss. »Wissen Sie, was er mir auch mal gesagt hat?«
»Was?«
»Dass man nur die Wetterdaten des Zentrums jedes Atmosphärenquadranten und nicht alle einzelnen einberechnen soll, wenn man seine Zahl auf ein großes Gebiet
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