Die Geometrie der Wolken
Kew auf. Einige Ihrer Kollegen gehen zu einer Sonderwettereinheit in Bushey Park, die die Oberaufsicht über alle Entwicklungen auf dem Kontinent führen wird. Andere werden in der Chemiewaffenstation in Porton Down auf den Salisbury Plains arbeiten. Der Rest wird nach Bedarf über die Streitkräfte verteilt.«
Ich unterschrieb das Blatt, während er sprach. Ich wollte nicht nach Porton Down.
»Viele zivile Met-Office-Mitarbeiter werden in die RAF dienstverpflichtet - Sie werden also deutlich mehr blaue Uniformen zu sehen bekommen.«
»Was ist mit Dr Stagg?«, fragte ich und dachte an meinen Direktor in Kew.
»Sein Wissen und seine Erfahrung werden benötigt, um ein meteorologisches Projekt von akuter nationaler Wichtigkeit zu leiten«, antwortete Sir Peter gelassen, was mich auch nicht schlauer machte.
»Und die Messungen?« Zu meinen Aufgaben gehörte auch das Ablesen langer Reihen von Messgeräten, Skalen und anderer Ausrüstung unter der Kuppel des Observatoriums in Kew.
»Eine Notbesetzung«, erwiderte Sir Peter barsch. »Genug. Sie müssen nur wissen, dass ich andere Pläne für Sie habe. Es geht um eine Angelegenheit in Kilmun in Argyll.«
»Gibt es da eine Wetterstation?«
Sir Peter lachte. »So könnte man ihn auch nennen. Sie werden als Tarnung eine eigene Wetterstation aufbauen und einer Abteilung des Met zuarbeiten.«
»Es tut mir leid, Sir. Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Hören Sie, Meadows. Bevor ich Ihnen noch mehr erzähle, sollte ich Ihnen erklären, dass es für Sie die Beförderung zum Technical Officer bedeutet, wenn Sie den Auftrag annehmen. Ich habe den Eindruck, dass Sie in Kew nicht voll ausgelastet sind. Sie haben in Cambridge den Sheepshanks-Preis gewonnen, zum Donnerwetter!« Er zündete sich eine Zigarette an und starrte mir über die Flamme in die Augen. »Sie sind doch wohl kein Verweigerer, oder?«
»Auf gar keinen Fall, Sir«, protestierte ich.
»Schon gut«, erwiderte er. »Es gibt viele Möglichkeiten, wie man seinem Land helfen kann. Was ich Ihnen vorschlage, ist nicht gefährlich. Es erfordert allerdings eine gewisse Gerissenheit und den richtigen Riecher für Geheimnisse. Sie werden auf jeden Fall wissenschaftlicher Arbeit nachgehen, auch wenn sie vielleicht etwas ins Detektivische reicht.«
Er hielt inne, als erwartete er eine Reaktion. Ich blieb still.
»Wir möchten, dass Sie einen Außenposten für Dunoon in Kilmun aufbauen, am Ufer des Holy Loch. Das ist allerdings nicht nur reine Tarnung; die Royal Navy hat im Loch eine U-Boot-Basis eingerichtet, für die wir in Dunoon selbst eine der HMS
Osprey
angegliederte Wetterstation betreiben.«
»Ich verstehe«, erwiderte ich. »Und das ist meine Aufgabe?«
»Nicht ganz«, antwortete Sir Peter und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Haben Sie von Wallace Ryman gehört?«
»Selbstverständlich. Er ist der Begründer der numerischen Wettervorhersage.« Er war sowohl einer der führenden Turbulenztheoretiker als auch der Erfinder eines Wettervorhersagesystems auf mathematischer Basis.
Sir Peter sah mich an, als erwartete er, dass ich weitersprach.
»Bei der Ryman-Methode wird jede Wettersituation in Zahlen beschrieben und darauf basierend geschätzt, wie sie sich entwickeln könnte«, setzte ich fort. »Er teilt die Atmosphäre in dreidimensionale >Luftparzellen< ein und ordnet jedem Wetteraspekt darin einen Zahlenwert zu. Dann ermittelt er mathematisch, wie es weitergehen könnte.«
Der Met-Office-Direktor unterbrach mich. »Aber es funktioniert nicht. Ryman selbst hat einen Fehler gemacht. Er hat das Schema im ersten Krieg angewendet, und es hat nicht funktioniert.«
»Das ist mir bewusst. Aber die Unmöglichkeit lag in der Berechnung, Sir. Die Theorie selbst hält stand. Im Prinzip ist diese Art der Vorhersage möglich.«
»Das mag sein. Wollen wir es hoffen«, sagte Sir Peter. »Noch etwas?«
»Mir wurde erzählt, dass Ryman früher für das Met Office gearbeitet und dann protestiert hat, als es vom Luftfahrtministerium übernommen wurde. Warum, weiß ich nicht.«
»Er ist Quäker«, erwiderte Sir Peter mit kaum verborgener Verachtung. »Aus Pazifismus hat er in den Zwanzigern das Met Office verlassen. Er war schon immer sehr schwierig ...«
Sir Peter hielt inne, als hätte er plötzlich gemerkt, dass er zu viel gesagt hatte. Er streckte seine knochige Hand nach dem Papier aus, das ich unterschrieben hatte, faltete es einmal, legte es in eine Schreibtischschublade und drehte den Schlüssel um,
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