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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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der andere Gesetze galten als die Newtons - ein Ort der Zeichen und Wunder, ein Tal der Omen. Dann sah ich aber eine Sonnenuhr im Garten und ein großes Teleskop auf einem Sockel, und irgendwie kehrte mit diesen Instrumenten die Vernunft ins Bild zurück.
    »Das Gebäude da neben dem Baum, die alte Steinkate, da haben die Ihre Ausrüstung untergebracht«, sagte Mackellar und zeigte den Hang hinauf. »Es steht ein Bett drinnen, aber ich kann nicht unbedingt sagen, dass es bequem aussieht. Ich bring Sie hin.«
    »Nein, nein danke«, erwiderte ich. »Ich gehe mich gleich mal dem Professor vorstellen, wo ich schon mal hier bin. Aber wenn Sie meinen Koffer mitnehmen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.«
    »Kann ich machen«, erwiderte Mackellar barsch.
    Ich stieg von der Kutsche.
    »Aber der Prophet«, sagte er mit emphatisch erhobener Peitsche, »der mag es nicht, wenn man bei ihm an die Tür hämmert.« Er hielt inne. »Sie müssen sich etwas geschickter anstellen. Dann mag er sie auch eher«, fügte er hinzu.
    Der Bauer ließ auf diese Aussage eine Geste der anderen Hand folgen, die keiner Erklärung bedurfte. Ich fischte den Fahrpreis aus der Tasche und bezahlte. Die Kutsche fuhr weiter in Richtung meiner neuen Wohnung, und ich ging auf die Vordertür von Rymans Haus zu.
    Ich wollte gerade klopfen, als ich mich an Mackellars Warnung erinnerte. Ich drückte gegen die schwere schwarze Tür. Sie war verschlossen.
    Hinter mir, von irgendwo auf der anderen Seite des Lochs oder weiter draußen auf dem Firth hörte ich das Nebelhorn eines Schiffs. Es hörte sich an wie das Stöhnen eines sterbenden Mammuts oder Mastodons, als spielte sich irgendein Drama aus der Frühzeit der Evolution draußen hinter den archipelagischen Wassern von Cowal ab. Ich blieb stehen und wartete, wobei ich mich langsam wieder unwohl fühlte. Dies schien tatsächlich ein seltsamer, obskurer Ort für den Triumph der logischen Transparenz der Wissenschaft, so weit entfernt von den mechanistischen Projektionen der Ryman-Zahl, wie man es sich nur vorstellen konnte.
     

6.
    Ich hörte ein Geräusch hinter mir, und als ich mich umdrehte, trat dort eine große Frau aus einem Schuppen. Ihr blondes Haar war unter einen Schal gesteckt, und sie trug einen Wollpullover, eine Cordhose und Gummistiefel. Sie hielt eine leere Handsämaschine, ein Gerät, mit dem man die Streumenge der Saat durch verschieden große Öffnungen kontrollieren konnte. Die Frau hatte etwas an sich, das mich sofort beruhigte.
    Als sie mich sah, schreckte sie zunächst zurück, dann lächelte sie aber. »Ich soll eigentlich Kohl pflanzen«, sagte sie, hob das Gerät an und warf mir durch den trichterförmigen Schnabel einen schalkhaften Blick zu. Sie streckte mir die Hand entgegen. »Aber ich habe das Päckchen mit der Saat verloren. Gill Ryman. Und Sie sind ...?«
    »Henry Meadows. Ich arbeite für das Met Office. Die Funkausrüstung auf Mr Mackellars Weide ist meine.«
    Gill Ryman. Augen mit der Farbe des Meeres und genauso wechselhaft, nur heller. Sorgenfalten auf der Stirn und ja, sie wirkte müde, aber sie war gleichzeitig faszinierend und beruhigend - vor allem die Augen, die die entschlossene Energie einer wahren Gläubigen ausstrahlten. Ich wusste damals noch nicht, wie unauslöschbar der Glaube dieser Saatjägerin mit den strahlenden Augen war, der ich so großes Leid antun würde. Es war ihr Glaube, der mich rettete, nicht mein eigener. Und es war ihre Intelligenz, die die Zahl entschlüsselte. Aber als ich sie zum ersten Mal traf, ahnte ich nichts davon; sie war vielmehr nur das Objekt fehlgeleiteter melancholischer Sehnsüchte, die ich selbst nur zur Hälfte verstand.
    Als ich ihr die Hand gab, fühlte sie sich kalt und etwas schwielig an. Mir fiel ein Schneckenmuster vorne auf ihrem Pullover auf. Sie war attraktiv, eine stattliche Frau, aber auf seltsame Weise auch hager. Diese Mischung erweckte den Eindruck eines Gleichgewichts von Kraft und Zartheit, als wäre sie gleichzeitig Blatt und Blume; man fragte sich, was darunterlag.
    »Ach, Sie sind das also!« Sie nahm den Schal ab, schüttelte ihre Locken und musterte mich dann wie ein Bauer einen Ochsen auf dem Markt. »Wir haben mitbekommen, dass die Leute vom Ministerium fleißig waren. Mein Mann hat selbst mal beim Met Office gearbeitet.«
    »Genau deswegen bin ich hier«, erwiderte ich. »Hier bei Ihnen vor der Tür, meine ich. Ich verfolge seine meteorologische Arbeit.«
    »Wirklich? Er hat das alles doch vor langem

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