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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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handelte. Ich war verwirrt. Ich hatte das Gefühl, dass er mit mir spielte.
    Enttäuscht setzte ich mich wieder. Ich beschloss, wieder indirekter vorzugehen. »Finden Sie denn nicht, dass zwischen der Präzision der Mathematik und der Vagheit der Psychologie und Sozialwissenschaften eine gewisse Inkongruenz besteht?«, fragte ich ihn, während er schrieb.
    Ryman sah von seinen Notizen auf und wirkte gereizt, als ob ich kein Recht hätte, ihn an seinem eigenen Esstisch bei seinen Berechnungen zu stören. »Mir sind die Schwierigkeiten bewusst, auf die Sie abzielen«, antwortete er und zeigte mit dem Stift auf mich, während seine Frau das Gemüse verteilte.
    »Aber ich bin überzeugt, dass sie überwindbar sind. Fast jedes Betätigungs- und Forschungsfeld lässt sich mathematisch sinnvoll ausdrücken. Wenn man seine Verbalaussagen in Formeln umsetzt, schärft es den Blick für die dahinterliegenden Ideen. Und wenn einem diese Formeln zur Verfügung stehen, ermöglicht das eine einfachere Folgerung in Bezug auf die Konsequenzen der ursprünglichen Aussage.«
    Ich muss zugeben, dass ich mir ein Lachen über Rymans hochformelle Ausdrucksweise verkneifen musste. »Wann haben Sie damit angefangen, diese Art von Thema mathematisch zu betrachten?«, fragte ich den Propheten und versuchte, durch meinen Ton mein eigentliches Interesse nicht zu verraten.
    Er lächelte und hielt dabei immer noch den Füller, als würde er mit einem Fieberthermometer die Lufttemperatur messen. »Vor langer Zeit. Als junger Mann musste ich für die Scottish Peat Company herausfinden, wie man in Torfmooren Gräben anordnen muss, damit die gewünschte Wassermenge abfließt. Mir war klar, dass ich eine allgemein anwendbare Vorgehensweise finden musste, eine, die die Genauigkeit der Differenzialrechnung in Näherungswerte umsetzt.«
    Ich kannte diesen Aspekt von Rymans Arbeit. »Sie berechnen das Verhältnis zwischen Veränderungen auf der y-Achse und den kurzen Distanzen zwischen den Messungen auf der x-Achse.« Ich nahm mir Soße, schnitt mein Fleisch und fing an zu essen.
    Er schien überhaupt nicht misstrauisch, sondern vielmehr dankbar, dass ich mich wenigstens mit einem seiner Forschungsgebiete auskannte. »Genau. Und das wurde für mich in vielen Bereichen ein Lösungsansatz für praktische Probleme, bei denen glatte Kurven und stetige Kurven nicht anwendbar sind. Aber diese Denkweise lag auch meiner Wetterarbeit zugrunde. Zum Beispiel könnte ich Ihnen folgende Frage stellen: Hat der Wind eine Geschwindigkeit?«
    Das war eine Fangfrage. Es kam darauf an, welchen Teil des Windes man meinte; andererseits war der Wind auch eine absolute Einheit. Der himmlische Hauch, den wir Menschen allerdings nur unterbrochen wahrnehmen. »Keine einfache Frage«, war alles, was ich zunächst antwortete, während ich weiter über die vielen Möglichkeiten nachdachte.
    Beim Überlegen sah ich mir durchs Fenster den Hang mit meiner Kate und dem kleinen Buchenwald an, der vor den massiven dunkelgrünen Fichtenreihen des bewirtschafteten Forstes winzig wirkte. Der Himmel über den Bäumen sah nach einem Wetterumschwung aus.
    »Da ist eine Böenfront im Anmarsch«, sagte Ryman, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Eine Stunde.« Er steckte den Notizblock und den Stift wieder in die Tasche. Mrs Ryman und Grant sprachen immer noch über Religion.
    »Die Geschwindigkeit des Windes ...«, kehrte ich zu seiner Frage zurück und kaute auf einer Bratkartoffel. »Ich würde sagen, es kommt immer darauf an, was genau man misst - wo und wann man anfängt, wo und wann man aufhört. Der Messvorgang hat immer einen Anfang und ein Ende. Die Festsetzung dieser Punkte beeinflusst das Ergebnis.«
    Er schien mit der Antwort zufrieden. »So kann man es ausdrücken. Der Wind ist nicht kontinuierlich, auch wenn es so scheinen mag, wenn man auf der Straße steht und der Sturm einem entgegenpfeift. Die einzelnen Luftparzellen werden sogar kreuz und quer herumgepustet. Die Funktion hat Zacken. Also können wir auf molekularer Ebene nicht behaupten, dass der Wind eine Geschwindigkeit hat, auch wenn wir mit unseren Instrumenten regelmäßig Windgeschwindigkeiten messen.«
    Während er sprach, schnitt er sein Fleisch in gleich große Stücke. Dann halbierte er jede einzelne Bratkartoffel und zerteilte seinen Blumenkohl in der Mitte. Der Kohl sah wie Gehirn aus.
    »Was ich mir nicht erklären kann«, setzte ich an, »warum, um Gottes willen, haben Sie Cambridge verlassen? Der Freiraum zum

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