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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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später Spezies und schließlich vererbten Zügen der Menschen (ob wir sie nun rückwirkend als schädlich oder nützlich betrachten), ohne diesen Konfliktkomplex, der natürliche Auslese genannt wird, wären wir ein Klumpen Schleim in einem prähistorischen Fjord geblieben - und würden wirbellos, aus einer Handvoll Zellen bestehend, still Säfte von uns geben und keine Sprache. Ich öffnete die Toilettentür.
     

12.
    Rymans Urin war noch in der Schüssel. Er hatte die Farbe von hellem Weizen. Der ganze Raum war von einem würzigen Geruch erfüllt. Die Toilette war von der deutschen oder dänischen Art, die eine Untersuchung des Stuhls ermöglichte. Nachdem sich mein Urin mit seinem vermischt hatte, zog ich an der Kette und sah zu, wie sich die Strudel entwickelten.
    Ich hörte Ryman von unten rufen und fluchte leise, als ich nach draußen trat. Ich hatte vergessen, dass ich nicht spülen sollte. Meine Hand hatte wie von selbst nach dem Griff gelangt.
    Die Tür zu Rymans Büro stand offen, und ich konnte der Versuchung einzutreten nicht widerstehen. Die Wände des recht großen Zimmers waren von beschrifteten Aktenordnern gesäumt. Ich konnte mir nicht vorstellen, seine Papiere zu durchstöbern. Es waren auch viel zu viele. Sofort konnte ich sehen, dass es sich bei denen auf dem Tisch um Wetterkarten und Algorithmen handelte.
    Also hatte er die Meteorologie nicht vollständig aufgegeben; Sir Peter hatte mit seiner Annahme recht gehabt, dass Ryman weiter an seinem Programm arbeitete.
    Mir war bewusst, dass mein Gastgeber unten saß, bloß Bodenbretter und eine Zimmerdecke von mir entfernt. Aber dem Tresor konnte ich nicht widerstehen, denn die Tür stand unerklärlicherweise offen. Drinnen lagen zwei maschinengeschriebene Texte vom Umfang eines Buchs. Ich blätterte sie durch und hoffte auf eine noch so kleine Erwähnung der Ryman-Zahl. Aber es ging in beiden um seine Friedensstudien. Die eine hieß
Waffen und Unsicherheit: Eine Mathematische Studie der Kriegsgründe;
die andere trug den Titel
Statistik Tödlicher Konflikte,
den er zuvor erwähnt hatte.
    Ich sah mir die Bücher in den Regalen an: Batchelor, Prandtl, Napier, Shaw, alles, was man in der Bibliothek eines Meteorologen erwarten würde. Es gab auch ein offenes Schränkchen, in dem Schnüre gespannt waren, über denen mehrere Brillen hingen. Sie sahen alle genauso aus wie die, die er trug. Auf dem Rahmen des Schränkchens fand ich verblasste Beschriftungen - 20, 30, 50, 100 cm - der Entfernungen, für die jede Brille ausgelegt war. Darüber musste ich kurz lachen. Gab es denn keinen Bereich in Rymans Leben, der von seinem Klassifizierungseifer verschont blieb?
    Auf einem kleinen Eichentisch neben dem Schreibtisch standen einige wissenschaftliche Instrumente, wie ein Messingmikroskop und ein System drehbar aufgehängter Stäbe mit Gewichten an den Enden. Ich versetzte die Stäbe in Bewegung. Anscheinend sollten sie den Erhalt von Drehimpulsen demonstrieren. Ein sehr wichtiges Phänomen, das man bei Eiskunstläufern und Tänzern beobachten kann. Aber am wichtigsten war es für die Astronomie. Die Art und Weise, wie die Planeten sich auf ihren Umlaufbahnen bewegen und auf ihre Ausrichtung warten.
    Da ich Angst bekam, man könnte mich unten vermissen, suchte ich schnell die weißen Rückenschilder der Aktenordner nach irgendetwas ab, was mit der Ryman-Zahl zu tun haben könnte.
    Lösung von Grenzproblemen durch Oberflächenintegration.
    Atmosphärische Bewegungen. Wind oberhalb der Abendflaute bei Benson. Quantitative Schätzungen sensorischer Ereignisse.
All diese Beschriftungen trugen Rymans säuberliche Handschrift.
    Dann sah ich es. Zwischen
Verzögerter Grenzwertansatz
und
Internationales und Intermolekulares Chaos
stand ein Kasten mit der schlichten Aufschrift
Zahl.
    Lag hier das, wonach Sir Peter suchte?
    Ich öffnete den Kasten, entdeckte aber keine Blätter, wie erhofft, sondern acht Patronenhülsen aus Messing. Sie lagen nach Größe geordnet in mit grünem Tuch ausgekleideten Vertiefungen in einer Pappoberfläche. Wie die Brillen waren sie durchnummeriert, von 1 bis 8. Außerdem waren Länge und Umfang notiert.
    »Könnten Sie mir wohl sagen, was Sie da machen?«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah Mrs Ryman, die im Profil seltsam rund wirkte und mich über eine Schulter betrachtete. Sie war offensichtlich an der Tür vorbeigegangen und überrascht stehen geblieben, als sie mich gesehen hatte.
    »O Gott«, entfuhr es mir, und

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