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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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gespielt? War er Nazi gewesen? Oder hatten ihn die Nazis verfolgt, würde er nun Vorwürfe erheben? Wusste er um die dunklen Flecken in der eigenen Vergangenheit? Würde er den Vater, der in der Partei gewesen war, verpfeifen, das Verhalten des Onkels öffentlich anprangern, der in der Reichspogromnacht Steine auf jüdische Geschäfte geworfen hatte? Eine ganze Gesellschaft ging auf brüchigem Eis. Man wusste nicht so recht, wie die neue Demokratie mit den Altlasten umgehen würde. Verhielt sich abwartend. Wollte ja nicht auffallen. Am besten, so dachten viele, man tue einfach mal so, als sei nichts gewesen, sei nichts passiert.
    Dennoch wurde von diesen, so durch und durch mit sichselbst beschäftigten Eltern erwartet, ihren Kindern mit Empathie zu begegnen, ihnen, so Therapeutin Alberti, »emotionale Sicherheit, seelische Nähe und ein Bindungsangebot zu geben, das sie selbst nur unzureichend erfahren hatten. Mangelnde Impulskontrolle aufgrund traumatischer Erfahrungen führte zu aggressiven Aufladungen in deutschen Elternhäusern der Nachkriegszeit, was in Verbindung mit der damals üblichen Gewalt in der Erziehung fatalerweise eine gesellschaftliche Legitimation fand. Und ein bis heute sichtbares überbewertetes Konsumverhalten kann verstanden werden als Ausdruck eines emotionalen Hungers, der anders keine Antwort zu finden scheint.«
    Diesen emotionalen Hunger, entstanden aus einem nie gestillten emotionalen Mangel, empfanden viele der damaligen Kinder. Ihre Eltern funktionierten nach außen hin gut, die Mütter schmierten ihnen die Frühstücksbrote, kochten das Mittagessen, wuschen die Kleidung. Die Väter brachten das Geld nach Hause. Das alles klappte meistens. Doch die Kluft zwischen der neuen Kindergeneration und den durch ihre Erfahrungen teils schwer traumatisierten Eltern war unüberbrückbar. Eine gemeinsame Sprache wurde einfach nicht gefunden.
    Die Kinder der Täter
    Dörte von Westernhagen hat sich in ihrem Buch »Die Kinder der Täter. Das Dritte Reich und die Generation danach« aus den Informationen, die sie im Lauf der Jahre zusammengetragen hat, folgendes Bild über »die Entstehung der paranoiden Beziehungsform zwischen den Generationen gemacht: […] Das Bestreben der Eltern, sich in einem Panzer künstlicher Stärke gegen die eigene Schwäche, quälende Schuld und peinigende Schamgefühle zu verschanzen, lähmte ihre Trauerreaktion, machte sie starr, selbstgerecht und unlebendig. Für die Kinder hieß das, an bestimmten Punkten immer wieder zurückgewiesen zu werden, dasGefühl, die Eltern nie richtig zu erreichen, ihnen nie richtig zu genügen. Ärger, Enttäuschung, Wut und Zorn darüber durften die Kinder jedoch auch nicht ausdrücken.« Die Autorin von Westernhagen vermutet deshalb, dass in vielen Angehörigen der zweiten Generation auf diese Weise das Gefühl entstand, von den Eltern niemals warm ans Herz genommen worden zu sein, sich niemals in einem wirklichen körperlichen und emotionalen Dialog mit ihnen befunden zu haben.
    Therapeut Hofmann geht davon aus, dass jemand, der durch Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges traumatisiert wurde – egal ob an der Front oder in den bombardierten Städten – seine Wahrnehmung und seine Feinfühligkeit gegenüber der Umgebung verändert. »Bei den Soldaten im Kriegsfeld nennt man das Verrohung.« So ein Mensch verliert laut Hofmann ein Stück weit das Gefühl für andere. Bestätigt wurde dies durch Untersuchungen bei Gefängnisinsassen, von denen etwa die Hälfte Gewalterfahrungen in der Kindheit gemacht hatten. Die später wegen Körperverletzungen oder anderer Gewalttaten einsitzenden Häftlinge können so etwas wie Empathie nicht mehr empfinden, sich nicht mehr in einen anderen Menschen hineinversetzen, erspüren, was der gerade leidet. Inzwischen weiß man, erklärt Hofmann, »dass im Therapieverlauf mit einem solchen Täter eines der wichtigsten Anzeichen für eine Besserung seine sich wieder bildende, ansteigende Empathiefähigkeit ist.«
    Bezogen auf das Verhalten der Kriegseltern aus den 50er und 60er Jahren bedeutet das, so erklärte mir Hofmann: »Viele Eltern haben damals überhaupt nicht wahrgenommen, was sie ihren Kindern antaten. Denen fehlte die Empathiefähigkeit. Hinzu kam noch, dass das Sozialsystem sagte, Schlagen von Kindern ist normal, mach das mal. Genauso normal, wie es in Deutschland eine Zeit lang normal war, Juden zu verschleppen und umzubringen oder Sinti und Roma umzubringen. Das war so normalisiert in der

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