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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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zwar zu, ihr sei schon mal die Hand ausgerutscht, vergisst dabei aber hinzuzufügen, dass »diese Hand zumeist mit etwas Hölzernem bewaffnet war. Es gab Situationen, in denen wir alle fünf Kinder durchgeprügelt wurden. So übers Knie gelegt, und dann entweder auf die Hose oder auf den nackten Po« erinnert sich Fritz.
    Einmal »da sind, glaube ich, drei oder vier Holzlöffel dabei draufgegangen. Die Mutter war so außer sich, offensichtlich so voller Spannung und so geladen, dass die wirklich diese Kochlöffelan uns kaputtgeschlagen hat. Das waren schon heftige Situationen. Vor allem, weil alle Kinder dabei sein mussten. Das waren richtige Kollektivstrafen. Wir durften nicht weggehen. Unter uns war eine große Bangigkeit. Bitte hör auf, lass das, flehten wir. Und gleichzeitig war man froh, wenn es einen nicht selbst traf.« Es waren quälende Momente, nach denen die gesamte Familie sich deprimiert und niedergeschlagen auf die Zimmer verteilte.
    Der als Arzt arbeitende Fritz ist 1960 geboren, hat vier Geschwister. Sein Vater war gehobener Angestellter in einer kleinen Firma, brachte das Geld nach Hause. Zu Hause war man sehr katholisch, ging regelmäßig zum Gottesdienst. Die Mutter war Hausfrau. In einer etwa 80 bis 90 Quadratmeter großen Vierzimmer-Wohnung im dritten Stock eines Mietshauses mit Balkon lebte die Familie gemeinsam mit einer Großmutter, die ein klein wenig ihrer Rente zum Budget beisteuerte. Diese Oma hat gestopft, hat Kartoffeln geschält, so dass die Mutter das Haus zum Einkaufen verlassen konnte. Die Wohnung war eng, sehr eng, wie sich Fritz erinnert. Nicht nur räumlich, sondern vor allem von der ganzen Atmosphäre her.
    Die fürsorgliche Mutter schmiert Schulbrote
    Morgens stand seine Mutter als erste auf, brühte sich Kaffee auf. Anschließend schmierte sie Brote, für alle. »Bei so vielen Leuten ging da ein ganzes Brot drauf.« Anschließend kochte sie dem Vater das Mittagessen, damit er es in seinem Henkelmann mit auf die Arbeit nehmen konnte. Dann zogen die Kinder los zur Schule, der Vater ins Büro. Da keines der Kinder in den Kindergarten ging, waren bald alle wieder zu Hause. Die Grundschule endete meist um 12 Uhr. Nach dem Essen war Mittagsruhe. Großmutter machte ihr Nickerchen. Danach kamen die Hausaufgaben dran.
    Abends wurde für den Vater noch einmal warm gekocht. Eine üppige Mahlzeit, »weil er alle Kinder, die sonst nur Brote bekommen hätten, noch mit gefüttert hat. Das war so ein ganz nettesliebevolles Ritual.« Fritz hat noch Fotos, die zeigen, wie er und seine Geschwister am Tisch sitzen, vor dem Vater der Teller mit dem Abendessen. Und man kann gut erkennen, wie er die Kinder füttert. »Das war eine schöne Zeit«, erinnert sich Fritz. »Später war es dann nicht mehr so gemütlich.«
    Fritz beschreibt sich als einen ruhigen Schüler. »Eher so der Typ, der Opfer von anderen wurde, der keine Grenzen setzte. Auf der katholischen Grundschule, an die eine Hauptschule anschloss, bin ich häufig in den Pausen hinters Gebüsch gedrängt, geneckt, gequält worden, und ich habe mich nicht gewehrt. Es gab eine Situation, die mir aber sehr klar in Erinnerung ist, da hat mich auf dem Heimweg ein Junge drangsaliert. Woraufhin ich ausgerastet bin, mich umgedreht und zugeschlagen habe. Der bekam eine blutende Nase. Zunächst bin ich weitergegangen. Hatte dann aber so ein schlechtes Gewissen, dass ich zurück zu ihm ging und ihn getröstet habe.«
    Seine Schwester schlief mit der Oma in einem Zimmer, er und seine Brüder hatten einen eigenen Raum mit einem Etagenbett und zwei Klappbetten. Die wurden tagsüber hochgeklappt, so dass in dem Zimmer auch gespielt werden konnte. »Es gab da so klassische Unfälle, dass jemand gegen das Klappbett gefallen ist, und dann ist das ganze Bett umgekippt. Oder dass meine Schwester sich ans Etagenbett hing und ihr dabei der Arm ausgekugelt wurde.«
    »Die Großmutter, so verrückt die auch war, hatte auch was sehr Liebevolles. Die hat immer Märchen erzählt. Oder vorgelesen. Und dann saßen alle am Kachelofen. Ja, es gab auch sehr viel Wärme zu Hause. Alles Muffige ist auch warm. Menschlich warm. Aber es ist eben auch sehr muffig.«
    Fritz hat noch Fotos von der Kommunionsfeier, zu der alle Verwandten zusammenkamen und sein kleiner Bruder so angespannt war, dass er ein Glas zerbiss. Ein dünnwandiges Glas, erinnert sich Fritz, »so einen Likörkelch. Soviel Anspannung war in dem kleinen Bruder.« Soviel Anspannung, wie offenbar in derganzen

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