Die geprügelte Generation
dass sie ihre eigene Rolle völlig außen vor hält. Sie behauptet nach wie vor, sie hätte alles richtig gemacht. Sie sei die Übermutter gewesen. Wollte immer nur unser Bestes. Ich halte Abstand zu ihr, einfach weil ich bestimmte Sachen nicht mit ihr besprechen und klären kann. Dadurch sind die latent natürlich vorhanden. Das ist inzwischen mein üblicher Umgang mit meiner Mutter: Ich erzähl der nichts wirklich Persönliches von mir. Sie ist nicht die Ansprechperson, um Probleme zu besprechen. Ich bin immer noch ihr Ältester. Und natürlich ist sie meine Mutter. Und sie hat auch viel für mich getan. Ohne Zweifel. Wenn man guckt, wo die hergekommen sind, und wenn man guckt, was daraus geworden ist, das ist schon bemerkenswert. Drei ihrer Kinder sind Akademiker, und die anderen haben gute Berufe, sind erfolgreich in leitenden Positionen. Aber dass es so Brüche und unüberwindbare Gräben gibt im Verhältnis zu meiner Mutter, das hat sicher mit meiner sehr eingeengten, isolierten, idealisierten Kindheit zu tun. Vor allem aber sind es Unehrlichkeiten, Unoffenheiten, das Nicht-Eingestehen-Wollen von eigener persönlicher Verantwortung, die mich auf Abstand zu ihr gehen lassen.«
Erst als Fritz seine Frau kennen lernte, hat er mit ihr eine andere Art von familiärem Umgang entdeckt. Hat vor allem gelernt, sein eigenes Kontaktverhalten zu verändern. »Wir leben nicht genau das Gegenteil von dem, was meine Eltern gelebt haben. Ich kann schon auch gerne für mich allein sein, das bringt meinBeruf mit sich, durch den ich den ganzen Tag von vielen Menschen umgeben bin. Aber wir haben, an dem gemessen, was meine Eltern gelebt haben, einen viel offeneren Umgang mit Menschen. Unsere Kinder durften immer andere Kinder mit nach Hause bringen. Sie konnten immer woanders hingehen. All diese Dinge. Das habe ich, denke ich, schon meiner Frau zu verdanken. Dass die das so an mich herangetragen hat.«
Gerade in der Anfangszeit, als seine Kinder klein waren, war das manchmal für Fritz nicht leicht. Damals hatte er Phasen großer Ängstlichkeit.«In denen ich in meinen Phantasien befürchtete, dass wenn ich jetzt nach Hause komme, irgendwas Schreckliches passiert sein könnte. Dabei hatten wir alles gut organisiert. Die Kinder waren nie alleine. Aber trotzdem gab es solche Phantasien, Katastrophenphantasien, die haben sich dann irgendwann gelegt. Ich denke, das kam aus der Besorgnis, es anders zu machen. Den sehr tief eingeübten, so eingegrabenen, eingefressenen Rahmen zu verlassen. Hierzu musste ich innere Widerstände überwinden. Ich glaube, dass diese Phantasien immer wieder so eine Art Rückholversuch waren. Ein Teil in mir hat offenbar versucht, mit aller Macht etwas konservativer, etwas überschaubarer, etwas weniger offen zu bleiben.«
Eine der Folgen aus seiner strengen, isolierten Erziehung ist seiner Einschätzung nach seine übergroße »Anstrengungsbereitschaft«, wie er es nennt. Damit meint er, sein Bestreben, immer wieder über die eigenen Grenzen zu gehen, »mich anzustrengen, es recht zu machen. Dazu ist meine Bereitschaft enorm groß. Ich will unbedingt ein gutes Ergebnis abliefern. Das ist mittlerweile nicht mehr ganz so vordergründig, aber ich will immer wieder auf was Besonderes raus. Gebe mich nur schwer mit etwas zufrieden, will es häufig einfach genauer wissen. Ich glaube, das hat was damit zu tun, dass ich mich mit diesem Verhalten wieder in die Welt des Kindes zurückversetze, das ich mal war. Und das nicht versteht, nach welchen Regeln das alles, was ihm passiert, so funktioniert. Dieses Kind versucht sich durch etwas zu retten,was es kann: nämlich die Dinge gut zu machen, zu perfektionieren.«
Seine Kinder haben von ihm ab und zu Klapse auf den Hintern bekommen, dazu steht er. »Mit der Hand. Jetzt nicht im Sinne von Prügel, sondern mal einen auf den Hintern. Was meine Frau überhaupt nicht mochte. Ich habe das aber nur dann getan, wenn sie überzogen hatten. Danach gab es immer ein Gespräch hierüber. Im Sinne von, was ist da jetzt eigentlich gewesen, wie hat das Ganze angefangen, warum habe ich da so reagiert. Das passierte im Affekt. Manchmal vielleicht in so einer Situation, wo ich’s auch habe drauf ankommen lassen. Aber nicht im Sinne von, du kommst jetzt her, und ich prügel dich jetzt. Nicht so, wie ich es erlebt habe. Anschließend gab es von meiner Seite aus immer den Versuch, das wieder auszugleichen und zu klären. Es hat mir leidgetan. Weil, das tut weh, und das erschreckt.
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