Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
Vom Netzwerk:
Familie. Eine Familie, die sich ausschließlich auf sich selbst zurückgezogen hatte, im eigenen Saft schmorte. »Diese Begrenztheit auf die Kernfamilie, die war schon sehr, sehr strikt. Wir durften nur selten ein anderes Kind zu Besuch haben. Ihr seid euch selbst genug, damit wurde das begründet.« Auch andere Kinder durfte Fritz nicht zu Hause besuchen. Es wurde nicht gerne gesehen, wenn die Kinder den Wunsch äußerten, an der Geburtstagsfeier eines Klassenkameraden teilzunehmen. »Weil, dann must du den ja auch einladen.« Fritz weiß nur noch, dass er ein einziges Mal eine Schulfreundin besuchte und mit dem Mädchen im Hof spielte. »Die restliche Zeit haben wir meistens im eigenen Saft geschmort. Das war eine sehr abgeschottete Familienidylle. Auch die Eltern gingen nie weg. Nie. Buchstäblich nie.«
    Es gab weder Frischluft noch Freiheit
    Fritz hat den einen Abend nicht vergessen, an dem die Eltern tatsächlich ankündigten, sie werden ausgehen. Als Vater und Mutter dann weg waren, standen die Kinder gemeinsam mit der Oma ratlos da und fragten sich, »wo sind die hin?« Eine Viertelstunde später kamen die Eltern aber schon zurück und »haben uns ausgelacht.« Ein Beispiel, das für Fritz der Beleg dafür ist, wie wenig die Eltern »Luft an diese Familie gelassen haben. Dass es in so einem engen Käfig dann zu Gewaltausbrüchen kommt«, hält Fritz im Nachhinein betrachtet fast schon für zwangsläufig. »Sperr sieben Leute auf 80 Quadratmetern ein, dazu noch die Oma, lass da kaum Luft ran und dann geht die Post ab. Ist doch völlig klar.«
    Der Vater von Fritz wurde 1937 geboren, stammte aus Oberschlesien, lebte, so erinnert sich Fritz, »sag ich mal, in Reichweite von einem KZ.« Mit acht Jahren musste er in einem extrem kalten Winter mit seiner Familie zu Fuß vor der Roten Armee nach Bayern fliehen. »Mein Großvater väterlicherseits war SA-Mann. Und der hatte Geld eingetrieben bei den Mitgliedern,und da ist mein Vater immer mit. Und es gibt einen Onkel, väterlicherseits, der sicher SS-Totenkopf-Mitglied war.« Was genau dieser Onkel getan hat, ob er vielleicht sogar in einem KZ arbeitete, hat Fritz nie herausbekommen. »Von daher denke ich, dass in dieser Familie eine ganz besondere Form von roher, offener, direkter Gewalt herrschte.«
    Von Seiten seiner Großeltern väterlicherseits, »die bekennende Nazis waren, gibt es eine massive Geschichtsklitterung.« Sein Vater hat ihm dies sehr viel später in einem Brief bestätigt. »Unter anderem hat er beschrieben, wie schrecklich es für ihn war, als Achtjähriger miterleben zu müssen, wie aus den glühenden Nazis bet-fromme Polacken wurden, die als Flüchtlinge in Bayern nichts anderes mehr als nur noch katholisch sein wollten. Dort wurden sie dann in irgendwelchen Wohnungen untergebracht, aus denen man wenige Jahre zuvor die Juden rausgeschmissen hatte.«
    Fritz weiß nicht, wie viel Gewalt sein Vater während der Nazizeit als Kind erfahren hat, wie viel Gewalt er gesehen hat. »Ich weiß nur, dass es in den Straßen seiner oberschlesischen Heimatstadt Massenerschießungen gab. Dass da Blut in den Rinnsteinen geflossen ist, das weiß ich heute alles. Wie viel er davon mitbekommen hat, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass er von dieser Lügenatmosphäre und von der hochgradigen Anspannung dieser Zeit als Junge einiges spürte. Er sollte Priester werden, um den Katholizismus der Familie sozusagen zu beeiden. Das ist so der Gewalthintergrund der väterlichen Seite.«
    Die letzte Ohrfeige bekam Fritz von seiner Mutter verpasst, als er vierzehn war. »Auf einem Bahnsteig. Wo genau, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall habe ich eine Bemerkung gemacht, die ihr nicht passte und daraufhin ist ihr die Hand ausgerutscht. Das Markante dabei war, dass sie an dem Tag ein relativ schweres Silberarmband trug. Das rutschte ihr ins Handgelenk und hat mir einen Abdruck im Gesicht hinterlassen. Den sieht man heute zwar nicht mehr, aber damals blieb ziemlich lange eine Markezurück. Worüber sie selber erschreckt ist. Und ab da war dann auch Schluss.«
    Von allen Geschwistern war Fritz derjenige, der seinem Vater am nächsten stand. Auch nach 1980, nachdem seine Eltern sich getrennt hatten, als der Vater völlig isoliert und einsam lebte. Fritz hatte als einziger von allen Kindern noch Kontakt zu ihm. Als der Vater schwer psychisch krank wurde, sah Fritz ihn nur noch sporadisch bis zu dessen Tod.
    Seiner Mutter nimmt Fritz deren Geschichtsklitterung übel. »Vor allem,

Weitere Kostenlose Bücher