Die geprügelte Generation
rausgeprügelt hatten. Auf uns.« Auf Sonja und ihre zwei Brüder.
»Meine Eltern waren Profiteure des Nazi-Regimes gewesen«. Diese Bemerkung macht Sonja ziemlich zu Anfang unseres Gespräches. Es ist ihr wichtig, einen Zusammenhang zwischen dem Zerplatzen der Träume ihrer Eltern von einem »Großdeutschen Reich«, verbunden mit einem damit einhergehenden von ihnen offenbar erwarteten Wohlstand und den so schmerzhaften späteren Sanktionsritualen in ihrer Familie herzustellen. Jedenfalls wirkten diese Eltern auf die kleine Sonja enttäuscht, gekränkt, ja geradezu wütend. Und sie ließen ihre Wut an den Kindern aus. So kam es Sonja jedenfalls vor.
Wenn ihre Brüder zum Beispiel etwas angestellt hatten, wenn sie – was nicht selten passierte – mit schlechten Zeugnissen nach Hause kamen, dann mussten sie sich der Reihe nach im Wohnzimmer aufstellen. In diesem großen, repräsentativen Wohnzimmer, in dem Gäste mit Salzstangen und Moselwein bewirtet wurden. Und dann schlug der Vater zu, während die Mutter dabei saß, »mit einem kleinen Cognac, einer Zigarette, und sich das ansah.«
Das Trotzköpfchen soll sich beruhigen
Sonja kommt aus einer bürgerlich protestantischen Familie. Ihr Vater war das, was man heute einen Manager nennen würde. Zunächst war ihre Familie »nachkriegsverarmt«, so wie die meisten Deutschen der damaligen Zeit. Bald schon machte sich allerdings das beginnende Wirtschaftswunder bemerkbar. Anfang der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts – da war die 1947 geborene Sonja noch nicht eingeschult – wurde ein erstes Auto angeschafft. Dem folgte ein eigenes Haus. Es ging mit strammem Kurs aufwärts. Bald waren »wir eine richtig gut situierte Familie«. Doch der Wohlstand änderte nichts daran, dass zu Hause eine eisige, kinderfeindliche Atmosphäre herrschte.
Inzwischen ist Sonja über 60 Jahre alt, verheiratet, kinderlos, liebt ihren kreativen Beruf als Grafikerin. Sie wirkt bei unseren Gesprächen in sich ruhend, zufrieden mit ihrem jetzigen Leben, aber auch wie jemand, der verwundet wurde, dadurch leicht verletzbar geworden ist. Das Thema Kindheit, Schläge, Eltern ist ihr spürbar unangenehm. Doch Sonja ist kein Weichei, das wurde ihr von den Eltern ausgeprügelt. Sie ist es gewohnt, sich Herausforderungen zu stellen, tat das schon immer. Wie diesmal dem Interview mit mir, das sie belastet. Ich merke es ihr an. Sie weicht aber dennoch nicht aus.
So kann sie mir noch nach all den Jahrzehnten genau beschreiben, wie so ein Rohrstock eigentlich aussah: »Er ist mehr als einen halben Meter lang, dünn, aus Rohr oder Bambus.« Gespürt hat sie ihn während ihrer ganzen Kindheit. Wieder und wieder. Die Eltern teilten sich die Schläge auf: »Die Mutter schlug mich, der Vater meine Brüder.« Einmal im Monat »war das bei mir dran.« Vielleicht mehr oder weniger häufig, überlegt sie, aber seltener sicher nicht. »So dass ich ständig mit dieser Bedrohung lebte.«
Das Ritual der Misshandlung spielte sich immer gleich ab. Die Mutter sagte, wenn etwas schief gegangen war: »Du weißt ja, wasjetzt passiert. Hol schon mal den Rohrstock.« Der lag stets griffbereit so weit oben auf einem Schrank im Esszimmer, dass die kleine Sonja ihn gerade mal zu fassen bekam. Sie reckte sich, holte ihn. Dann musste sie vorgehen, die Treppe runter in die Waschküche. »Dort wurde ich verprügelt. Röckchen hoch. Also nicht gerade auf den nackten Po. Aber auf die Unterhose.«
Sonja erinnert sich gut an die Brutalität, die bei ihr zu Hause herrschte. Und die sich von den Eltern auch auf ihre Brüder übertragen hatte. Sie als jüngstes der Geschwister musste, bis sie elf oder zwölf Jahre alt war, »ständig damit rechnen, dass jeder, der mir in diesem Haus begegnete, das Recht hatte, mir eine Ohrfeige zu geben. Jederzeit.« Eigentlich zog sie damals Schläge mit dem Rohrstock diesen spontanen Übergriffen vor, denn die gezielten Stockschläge bedurften einer gewissen Vorbereitung, dazu ging man in den Keller, »das war irgendwie kalkulierbarer«. Doch Ohrfeigen gab es einfach zwischendurch, wann immer es den anderen passte. Und wann immer sie die Brüder streifte, ihnen auf dem Flur, im Haus begegnete, wurde sie geknufft, geschlagen, an den Haaren gezogen.
Der gewalttätige Umgang mit ihr gab Sonja das Gefühl, in ihrer Familie eine Außenseiterin zu sein. Jemand, der nicht richtig dazu gehörte, der einfach von Natur aus böse war, dem man das Schlechte durch Prügelei austreiben musste. Dabei hatte
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