Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
Vom Netzwerk:
entsprechend verteufelt. Nicht nur dafür, dass sie ihre Kinder, ihre Familie für eine neue Liebe verlassen hatte. Sondern auch dafür, dass des Vaters Karriere damals aufgrund dieser familiären Situation zunächst einen Knick bekam. Einen geschiedenen Pfarrer, wer wollte den schon in seiner Gemeinde haben? Er musste die Landeskirche wechseln und quasi noch einmal ganz von vorn in einer kleinen Pfarrei anfangen. Die fünf Kinder wurden ihm zugesprochen, damals galt im Scheidungsrecht noch das Schuldprinzip.Und die Mutter, die weggegangen war, sah ihre Kinder erst wieder, als alle längst erwachsen waren.
    Erst als Tilman Röhrig seiner Mutter als Erwachsener zum ersten Mal wieder begegnete, sich mit seiner Mutter versöhnte, stellte sich heraus, dass diese angeblich so böse und selbstsüchtige Frau auch ein Opfer des damaligen Scheidungsrechts geworden war. »Meiner richtigen Mutter war es verboten, sich mit uns Kindern in Verbindung zu setzen. Und als ich dann auf der Schauspielschule war, als ich also das Gefühl hatte, es irgendwie geschafft zu haben, habe ich sie suchen lassen. Vom Roten Kreuz. Das war ja sehr einfach. Damals wurden noch die Kriegsvermissten gesucht. Und innerhalb von drei Tagen hatten sie meine Mutter gefunden. Ich wollte sie unbedingt wiedersehen, auch um ihr zu sagen, was sie mit mir und meinem Leben angerichtet hat. Immer noch mit dem Ballast, dass ja nun alles Schlechte in mir eben von dieser Frau gekommen sei.«
    Tilman Röhrig schrieb ihr einen Brief und bekam schon vier Tage später ein mit Tränen beflecktes Antwortschreiben zurück. Mutter und Sohn verabredeten sich auf halber Strecke, am Frankfurter Hauptbahnhof. Zum ersten Mal nach Jahren sollten sich beide wiedersehen. Sie reiste aus Süddeutschland an, er aus dem Rheinland. Drei Stunden, bevor der Zug, mit dem die Mutter eintreffen sollte, am Frankfurter Hauptbahnhof einlief, stand Tilman Röhrig schon da, rauchte vor Anspannung eine Zigarette nach der anderen. Dann kam endlich der Zug, in dem die Mutter sitzen sollte. Als erstes stieg eine Frau aus, »ich sagte, lieber Gott lass es bitte nicht diese Frau sein. Weil, ich sah sie an, und zu der fühlte ich mich überhaupt gar nicht hingezogen. Im späteren Fahrgaststrom ging eine andere Frau so in der Mitte, von der ich sofort wusste, dass sie das war. Und die kam auf mich zu, sagte meinen Namen, lehnte sich an mich und weinte. Genau so war es.« Von da an brach der Kontakt zwischen Mutter und Sohn nie mehr ab. Und endlich erfuhr Tilman Röhrig die Geschichte der Mutter nicht aus dem hasserfüllten Mund des Vaters,mit der verächtlichen Stimme der Stiefmutter, sondern von ihr selbst.
    Als kleiner Junge hatte er sich immer gefragt, wieso kümmert sich die Mutter so gar nicht um uns Kinder. Erst jetzt erfuhr er, dass der Scheidungsanwalt seines Vaters dies hintertrieben hatte. »Hunderte von Briefen schrieb die Mutter an uns Kinder, die sie alle von der Kanzlei dieses Anwalts wieder zurückgeschickt bekam mit dem Vermerk, sie dürfe sich nicht an ihre Kinder wenden. Das war wirklich so.«
    Der Vater, mit der ungeklärten Lebenssituation überfordert, verteilte seine fünf Kinder zunächst nach dem Weggang der Mutter auf diverse Heime, gab einige in die Obhut von Verwandten. Als er drei Jahre später dann doch wieder eine Festanstellung fand und parallel dazu eine neue Frau, sammelte er sie wieder ein. Die Stiefmutter kannte sich mit Kindern aus, war in den letzten Kriegsjahren beim BDM gewesen, dem Bund deutscher Mädel, und hatte ihre sicherlich auch aus dieser Zeit herrührende Art, mit den fünf kleinen Menschen umzugehen. Zu der sich bald schon zwei weitere, nunmehr eigene Kinder gesellten.
    »Wir sind dann erzogen worden von dieser zweiten Frau, die sagte, eine Mutter ist nicht die Frau, die einen geboren hat, sondern die Frau, die einen erzieht. Das mussten wir jeden Abend beten. Im Nachtgebet. Wir mussten Gott danken, dass es jetzt eben diese richtige Mutter für uns gab.« Ansonsten gab es zumindest für Tilman Röhrig nicht viel Anlass, dieser neuen Mutter für irgendetwas dankbar zu sein. »Wenn ich in der Schule schlecht war, wenn ich frech wurde, wenn ich aus dem Portemonnaie vielleicht etwas geklaut hatte, oder irgend solche Taten, immer hieß es, ja, ja das ist der schlechte Einfluss dieser Frau.« Mit dieser Frau war Tilmans wirkliche Mutter gemeint, die die Kinder allein gelassen hatte. »Das heißt also, es wurden permanent und jeden Tag neue Pakete auf die

Weitere Kostenlose Bücher