Die geprügelte Generation
Vater, auf mein Elternhaus erschaffen.« Er hat sich Bestrafungen ausgedacht, immerhin »bin ich ja Pfarrerssohn und kenn mich gut mit den sieben Plagen aus. Was ich da alles herabbeschworen habe. Und mit zehn Jahren lernte ich schon den Prometheus auswendig.
Da ich ein Kind war, / Nicht wusste, wo aus, wo ein / Kehrt’ ich mein verirrtes Auge / Zur Sonne, als wenn drüber wär / Ein Ohr zu hören meine Klage, / Ein Herz wie meins, / sich des Bedrängten zu erbarmen
. Das waren so meine Rettungsversuche.«
Wenn es seinen Eltern gelang, ihn solange unter Druck zu setzen, bis er irgendeine Schandtat zugab, die er gar nicht verbrochen hatte, dann »bin ich gleich aufs Klo und hab es mir deutlich vorgesagt, dass das nicht stimmt, was ich gerade gesagt habe. Nur um mich nicht zu verlieren.«
Ein Kirchenaustritt als gezielte Provokation
Seinen Vater hat er sehr früh »zur Seite gestellt«, wie er dies nennt. »Das heißt, ich habe ihn neben mich gestellt und habe ihn nicht mehr in mir getragen. Das ist ganz wichtig.« Diese Haltung seinem Vater gegenüber drückte er deutlich schon als 14-Jähriger aus. Er wurde konfirmiert, wie es sich für einen Pfarrerssohn gehört. Und ist eine Woche später aus der Kirche ausgetreten. Er tat dies, um seinem Vater zu zeigen, dass er nunmehr selber entscheidet, was zu tun ist.
Sein Kirchenaustritt bedeutete für ihn nie, dass er seinen Glauben fallen ließ. »Beileibe nicht«, ohne den könne er nicht leben. Vielmehr bedeutete dieser Schritt, dass er »aus der Institution Vater ausgetreten ist. Aus der Kirche.« Er hat durchgestanden, was auf seine Eigenwilligkeit, seine Provokation an Strafe auf dem Fuße folgte. »Ich habe zwei Wochen lang im dunklen Zimmer sitzen müssen. Wurde krankgeschrieben, brauchte nicht zur Schule zu gehen. Und mein Vater ist jeden Abend gekommen und hat gefragt, ob ich mir das überlegt hätte. Und jeden Abend habe ich geantwortet, dass ich diesen Entschluss oder diese Tat, wie er es nannte, nicht rückgängig machen würde.« Es war die erste wichtige Entscheidung in Tilman Röhrigs Leben, die der Vater nicht mehr beeinflussen konnte. Die ihm regelrecht entglitt. Denn sein Sohn war mit vierzehn Jahren kirchlich mündig.
Irgendwann dann reichte es ihm, musste er raus aus diesem Biotop voller Lieblosigkeit und Niedertracht. »Mit 15 bin ich von zu Hause abgehauen. Schlug mich durchs Leben. Kam bei Freunden unter, habe in Büschen geschlafen. Wurde auch mal wieder eingefangen. Kam kurzfristig in Heime. Entfloh. Wurde Telegrammbote.«
»Bei all dem hatte ich nur einen Wunsch: Ich wollte Schauspieler werden. Ein Wunsch, der aus meiner kurzzeitigen Erfahrung in einem kleinen Zimmertheater in Wiesbaden herrührte. Dort auf der Bühne war ich, der ich als Kind immer nur heruntergeputztund niedergemacht worden war, richtig gut. Das heißt, die Leute fanden mich toll. Kaum war ich wieder runter von der Bühne, ging ich ihnen auf den Wecker. So dass ich irgendwo innerlich immer dachte, stell dich nur schnell auf die Bühne, dann findest du Anerkennung. Sobald du nur du selbst bist, mögen dich die Leute nicht mehr. Auf der Bühne trug ich meinen Vater nicht mehr als Ballast mit mir herum. Und lernte immer mehr, ihn auch im wirklichen Leben beiseite zu stellen. Denn je mehr es mir gelang zu beweisen, dass alles Schlechte, was mir prophezeit worden war, gar nicht stimmt, desto besser ging es mir.«
Tilman Röhrig ist viel Schlechtes vorhergesagt worden. Die strenge Stiefmutter, der Vater, der sich wie ein Herrgott der Familie aufspielte – sie beide ließen keine Gelegenheit aus, den kleinen Tilman herunterzuputzen. So musste dieses Kind kämpfen, um zu bestehen. Sich Nischen freischaufeln, um zu überleben. Und Tilman Röhrig hat es geschafft.
»Ich habe das Leben als Kampf gesehen und habe versucht, mich da durchzukämpfen. Dabei wollte ich beweisen, dass alles, was mir prophezeit worden war, nicht stimmt. Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, aus diesem Sumpf herauszukommen. Das ist mir auch gelungen. Ich hatte Erfolg. Das war für mich ganz wichtig. Also ich, der ich immer als derjenige abgestempelt worden war, der sowieso nichts taugt. Aus dem höchstens ein Verbrecher wird oder jemand, der auf der Straße landet. Ich habe sehr großen Erfolg als Schauspieler gehabt. Und damit blätterte einfach alles ab, was mir geweissagt worden war. Weil alles nicht stimmte. Dadurch wurde plötzlich dieser Moloch Vater ganz klein, so wie ein freundliches kleines
Weitere Kostenlose Bücher