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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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Schultern dieser Frau geladen. Und dadurch blieben die Stiefmutter und auch mein Vater sehr sauber.« Die verschwundene Mutter war der Katalysator, um sich selbstreinzuwaschen. Während die Kinder »in kindlicher Verzweiflung« sich ständig fragen: »Ja, wie kann es denn nur sein, dass ich so viel Schlechtes mitbekommen habe? Man saß da und verzweifelte an den eigenen Anlagen, gegen die man sich scheinbar nicht wehren konnte. Aber man selbst musste sie ja trotzdem ertragen.«
    Vorsorglich verabreichte Schläge
    Um diese Anlagen auszutreiben, aber auch um ihre Allmacht zu demonstrieren, griffen Tilman Röhrigs Eltern zu den brutalsten Mitteln. »Ich kam aus der Schule. Und die Stiefmutter sagte, heute Abend bekommst du Prügel. Ich hatte gar nichts gemacht. Also fragte ich, wieso, warum, um Himmelswillen? Damit du nicht über die Stränge schlägst, wurde mir erklärt. Können sie sich ein Kind vorstellen, was den ganzen Nachmittag zittert? Und dann kommt der Vater nach Hause. Man empfängt ihn draußen an der Garage. Er ist fröhlich, lacht und streichelt einen vielleicht sogar, geht ins Haus und eine halbe Stunde später wird man reingerufen, und man kriegt eine Tracht Prügel. Also, das ist furchtbar.«
    Seine Genugtuung war, dass die Uhr des Vaters, wenn der ihn mit der Reitpeitsche schlug, sich regelmäßig vom Handgelenk löste und durch die Gegend flog. Dabei ging jedes Mal das Uhrenglas kaputt. Der kleine Tilman freute sich diebisch hierüber »weil dieser Rückhandschlag für meinen Vater jedes Mal sehr teuer wurde. Die Uhr musste immer anschließend repariert werden.« Im Krieg hatte sein Vater eine Hand verloren, trug eine Prothese. Und auch mit der schlug er zu, Tilman ins Gesicht. »Das war natürlich furchtbar. Man flog da gleich in die Ecke. Einmal unters Kinn mit der Prothese reichte aus.«
    Tilman Röhrig erinnert sich an einen Sonntagsspaziergang mit der ganzen Familie. Plötzlich fuhr ein Auto vorbei. Tilman rief aus, »ich glaube, das war ein Mercedes 300. Mein Vater sagte, das gibt es nicht. Ich sagte, hinten auf dem Auto stand 300. Dasgibt es nicht! Ich immer wieder. Doch! Bis ich auf offener Straße dermaßen verprügelt wurde, und ich dann nachher weglaufend schrie, und es war doch 300. Ich war natürlich schneller als er, und er konnte nicht hinter mir her laufen.«
    Doch wie für viele der geprügelten Kinder jener Jahre waren Schläge nur ein Bruchteil der erlittenen Misshandlungen. Viel schlimmer waren für Tilman Röhrig »diese nachhaltigen Verletzungen, lächerlich gemacht zu werden. Oder wenn man endlich etwas wusste, weil man was gelernt hatte, sofort vorgeführt zu bekommen, wie wenig das doch ist, im Verhältnis zu dem, was meinetwegen die Stiefmutter oder der Vater weiß. Immer, immer wurde man in die Schranken gewiesen.« Eine Demütigung hat er als besonders schmerzhaft in Erinnerung: »Ich bin sehr oft blamiert worden. Es passiert ein Missgeschick. Dann kommt eine Tante zu Besuch, die man an sich sehr nett fand und so als Vorpubertierender vielleicht sogar ein bisschen anhimmelte, und gerade der wurden dann alle Peinlichkeiten lächelnd mitgeteilt, und man stand an der Tür oder noch im Flur und hörte das und traute sich natürlich nicht mehr reinzugehen. Also das sind furchtbare Situationen gewesen.«
    Für Tilman Röhrig war dies Blamieren Ausdruck massivster Ablehnung und Entwertung. Traumatherapeut Hofmann weiß, dass derlei erlittene Beschämungen »Dinge sind, die bleiben nicht in den Socken stecken. Wir haben immer gedacht, dass die körperliche Gewalt massivere Auswirkungen hat als die psychische Misshandlung, weil sie so offensichtlich ist.« Inzwischen aber hat sich herausgestellt, dass die seelische Belastung bei den Menschen, die so wie Tilman Röhrig abgelehnt, erniedrigt, beschämt worden sind, »relativ gleich ist.« Derlei seelische Gewalt ist für Hofmann in etwa so, »als wenn diese Eltern ihrem Kind einen Keimling für eine spätere Depression mitgeben würden.«
    Die böse Stiefmutter entsprach ganz dem Klischee
    Vor allem die Stiefmutter kannte sich mit derlei subtilen Unterdrückungsmethoden vortrefflich aus. Fragte der kleine Tilman sie zum Beispiel, »Mutti, darf ich ins Kino?« Dann antwortete sie ihm: »Ja, wenn du mir sagst, was deine Schwester gestern deinem großen Bruder zugeflüstert hat. Dreimal sagt man, nee, das verrate ich nicht. Dann geh ich eben nicht ins Kino. Wenn die Freunde laut genug sagen, du bist ja blöd, warum gehst du nicht mit

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