Die geprügelte Generation
namens Mohren erzählt sie, wie sich dieser Pädagoge an dem Schüler Rainer regelrecht verging. Mohren schleppte Rainer, weil er glaubte, der Junge habe gelogen, »am Ohr durch den Klassenraum, stieß ihn auf die Bank, den Kopf nach unten, so dass seine Beine hinten in der Luft hingen.« Schon allein bei dieser Vorstellung stockt dem Leser heutzutage der Atem. Doch dann nahm der Lehrer den Zeigestock, »knöpfte dem Jungen die Hosenträger ab und zerrte die Hose an beiden Beinen bis zu den Knien herunter, wobei sich Rainers Unterleib unwillkürlich von der Bank hob, wie um die Prozedur zu erleichtern. Wir alle konnten den kleinen Hintern in der verwaschenen, graublauen Baumwollunterhose sehen, der sich vor Angst und Scham zusammenkrampfte.« EinMädchen schluckte laut, als der Lehrer den Stock wie zur Probe erst ein- bis zweimal durch die Luft sausen ließ, bevor er zuschlug, während er den Satz »Du sollst nicht stehlen« mehrmals wiederholte und dabei allem Anschein nach auch noch schmunzelte. Kirschrot glühten dabei die Wangen dieses Lehrers, »die Lippen sprühten Speichel. Rainer aber nahm seine Strafe nicht, wie es sich gehörte, schweigend entgegen. Vielmehr ließ er nicht ab, seine Unschuld zu beteuern, ja, er rief sogar Gott und den heiligen Antonius um Hilfe an, dass sie seine Unschuld bezeugen mochten.«
Die 55-jährige Kindertherapeutin Claudia, die sich erst nach einigem Zögern daran erinnern konnte, dass ihr Vater über den Tisch greifend sie und ihre Schwester ohrfeigte, weiß noch sehr genau, dass es zu ihrer Schulzeit durchaus üblich war, die Kinder zu schlagen. »Mit der bloßen Hand ins Gesicht oder auf den Po. Mit dem Stock vor allem auf die auf der Bank ausgestreckten Finger.« Zwischen 1961 und 1965 besuchte sie in Süddeutschland eine Volksschule. Nicht alle Lehrer prügelten damals die Kinder. Aber zwei fallen ihr sofort ein, weil diese Schläge immer völlig willkürlich und überraschend verteilten. Und die in der Klasse herumstolzierten und sich hin und wieder mit dem Rohrstock, den sie ständig schlagbereit in der Hand hielten, den Rücken kratzten.
Claudia war ein braves, ein sehr bemühtes Kind, das immer versuchte, alles richtig zu machen. Das Lernen fiel ihr leicht. Die Lehrer hatten wenig an ihr auszusetzen. »Das hat meine Klassenlehrerin aber nicht daran gehindert, auch ohne Anlass zu schlagen. Sie war jähzornig und hat dann zu diesem Zeigestock gegriffen. Das war kein Rohrstock, sondern ein Stock aus solidem Holz. Oben dünner als unten.« Mit dem schlug sie auf alles, was sie erreichen konnte.
Albert, einer ihrer Mitschüler, wurde von Claudia »unglaublich bewundert, weil er dieser Lehrerin davongerannt war und dabei wirklich über die Tische sprang, im seitlichen Stütz, was dieLehrerin, sie war schon etwas älter, natürlich nicht mehr konnte.« Auch alle anderen in der Klasse waren fasziniert von Alberts Mut, davon, dass er der Lehrerin widerstand, schon mal aus dem Klassenzimmer flüchtete. »Und sie lief hinterher. Nur als er dann auf die Straße rannte, ist sie umgekehrt, ihm nicht mehr nachgerannt.«
Die Konsequenz aus Alberts aufmüpfigem Verhalten, aber wohl auch die Folge seiner schlechten Noten war, dass er von der Schule flog und auf eine sogenannte Hilfsschule kam. »Er galt natürlich als frech und aufsässig. Aber ich hab ihn dafür sehr, sehr bewundert.«
Im dritten Schuljahr wechselte die Klassenlehrerin, die Neue war jung und lieb und hat niemals geschlagen. Das war ein Segen für Claudia. So sehr hatte die handgreifliche Lehrerin ihr die Schule vergällt, »dass es – wenn das so weiter gegangen wäre – mich in meinem Lernen beeinträchtigt hätte. Ich bin die ersten zwei Jahre furchtbar ungern zur Schule gegangen. Ich hab diese Schule gehasst. Hab Alpträume gehabt, oft versucht, Sonntagabends krank zu werden, um nicht in die Schule zu müssen. Obwohl mir das Lernen eigentlich leicht gefallen ist. Und deshalb war es auch ein Segen, dass es nach zwei Jahren vorbei war. Diese Lehrerin wurde damals tatsächlich früh pensioniert. Es hieß auf Grund einer Krankheit. Aber ich meine mich zu erinnern, dass letztendlich doch Eltern dafür gesorgt haben, dass die von der Schule ging.« Von da an waren die Kinder zwar nicht gänzlich vor Schlägen gefeit. Es gab noch eine weitere Lehrerin, die Tatzen austeilte. »Die hatten wir noch länger. Es war eine Religionslehrerin. Aber die haben wir nicht so ernst genommen.«
Eltern kümmerte es nicht, wenn Lehrer
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