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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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Tatzen verteilten
    Im Nachhinein wundert es Claudia schon, dass es Eltern gab, die gegen die prügelnde Klassenlehrerin opponierten. Weil sich ihrer Erfahrung nach Eltern eigentlich nicht darüber aufregten und Kinder es zu Hause oft gar nicht erzählten. Aber offenbar gab es doch Familien, in denen Prügeln nicht zum Alltag gehörte und um sich schlagende Lehrer nicht einfach toleriert wurden. »Diese Eltern haben durch ihren Protest dafür gesorgt, dass die Lehrerin gehen musste,« vermutet sie.
    Ob ihre Eltern von der schlagenden Lehrerin wussten? Ob sie eingeschritten sind, dem Rektor Bescheid gesagt haben? Claudia überlegt, weiß nur noch, dass ihr Vater später behauptete, davon habe er nichts gewusst. Was gut möglich sein kann. Denn auch ihr kam das Verhalten der Lehrerin völlig normal vor, als kaum erwähnenswert. Warum sollte sie ausgerechnet hiervon zu Hause erzählen? Außerdem waren sie mehrere Kinder daheim, da wollte »nicht jedes Kind so einen Aufwand machen«. Vielleicht, das schließt sie nicht aus, habe sie auch gar nicht damit gerechnet, dass sich ihre Eltern besonders für dieses Thema interessierten, genau wissen wollten, was da in der Schule los sei.
    Sie glaubt, dass ihre Eltern heute, was dieses Kapitel angeht, ein schlechtes Gewissen haben und die Schulzeit ihrer Kinder und die damit einhergehenden Züchtigungen einfach verdrängen. »Mein Vater hat, als zufällig mal der Name dieser gewalttätigen Lehrerin fiel, spontan gesagt, ja das war eine sehr gute Lehrerin. Streng aber gut. Ich war ganz erschüttert und habe gedacht, wie kommt der da drauf? Erstens hat der sie praktisch nicht gekannt. Der hat sich für meine Schule überhaupt nicht interessiert. Und das einzige, was er von der wusste, war, dass sie geschlagen hat. Und zweitens, wie kommt er zu diesem Schluss? Das muss irgendeine Erinnerung gewesen sein, nach dem Motto: Was streng war, muss auch gut gewesen sein.« Inzwischen kann sie mit ihren Eltern über das Verhalten der Lehrerin sprechen, »dafür sinddie heute erreichbar und sogar ein bisschen erschüttert darüber. Ein paar Mal sagten sie schon, ja wenn wir das gewusst hätten.«
    Später auf dem Gymnasium wurden Kinder, die etwas ausgefressen hatten, zur Strafe in die Ecke gestellt. Was auf Claudia eher wie eine hilflose Reaktion der Lehrer wirkte. »Einmal hat eine Lehrerin in der Wut ein Lineal zerbrochen. Hat aber sofort gesagt, ich ersetze es dir. Und es war so, dass wir im Gymnasium schon ganz genau wussten, das geht eigentlich nicht. Schlagen ist nicht in Ordnung. Es war trotzdem so, dass nicht jede Ohrfeige an Eltern oder Schulleitung oder an wen auch immer weitergegeben wurde.«
    Auf dem klassischen Gymnasium, dass der heute 65-jährige Rechtsanwalt Dieter in Göttingen besuchte, unterrichtete ein sehr autoritärer, sehr gewalttätiger Lehrer. Da Dieter von zu Hause keinerlei Schläge gewohnt war, fiel ihm dieser Lehrer besonders unangenehm auf. Der verteilte großzügig schmerzhafte Kopfnüsse an die Kinder, was Dieter bis heute nicht vergessen hat. So zog dieser Lehrer Schüler zum Beispiel liebend gern an einem Ohr oder an den Haaren aus der Bank hoch. Immer dann, wenn man seiner Auffassung nach etwas falsch gemacht hatte. »Was natürlich erheblich weh tat.« Trotzdem hat Dieter niemals zu Hause davon erzählt, obwohl er das Verhalten dieses Lehrers als außerordentlich bedrohlich empfand.
    Als Erwachsener dann, Dieter hatte den Lehrer längst aus dem Gedächtnis verloren, las er eines Tages in der Zeitung, dass dieser Mann von einem Schüler erschossen worden war. »Und da fiel er mir wieder ein. Ob dessen Gewalttätigkeit wirklich der Grund für die Tat des Schülers war, weiß ich nicht. Aber zumindest kam dadurch die Erinnerung an diesen sehr autoritären, gewalttätigen Lehrer wieder hoch.«
    Prügelnde Lehrer gibt es auf der ganzen Welt
    Noch heute sind in 88 Ländern dieser Welt Schläge an Schulen ausdrücklich erlaubt. Diese Zahl stellte die UN-Sonderbeauftragte für Gewalt gegen Kinder, Marta Santos Pais, im September 2010 in einer Bilanz 33 ihres ersten Jahres als UN-Kinderrechtsexpertin vor. Unicef ergänzt dies durch einen Bericht, aus dem hervorgeht, dass lediglich 102 Staaten körperliche Disziplinierungsmaßnahmen an Schulen verboten haben. 34 In fast der Hälfte der US-Staa ten dürfen Lehrer ihre Schüler schlagen. Und sie tun es auch, laut Spiegel-online von August 2008, am liebsten mit »Holzpaddlen« aufs Gesäß. Eine neue Studie verzeichnet

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