Die Gerechten
uns nicht in Frage. Er kam zurück, und ich schickte ihn wieder weg. Beim dritten Mal unterhielten wir uns lange. Er sagte, er wünschte, er wäre reich auf die Welt gekommen. Denn dann, sagte er – ich erinnere mich genau an seine Worte – denn dann hätte er die Freude erleben können, die es bereitete, riesige Summen Geldes zu verschenken. Es gebe so viele Menschen, die Hilfe brauchten, sagte er. ›Was bedeutet denn das Wort‹Philanthropie›?‹, fragte er mich. ›Es bedeutet Liebe zu deinem Mitmenschen. Und warum sollen nur reiche Leute ihre Mitmenschen lieben dürfen? Ich will auch ein Philanthrop sein.‹ Er war entschlossen, eine andere Möglichkeit zu finden, etwas zu verschenken – selbst wenn das bedeutete, seine eigenen Organe zu verschenken.
Ich kam zu dem Schluss, dass er es wirklich ehrlich meinte. Ich führte die nötigen Untersuchungen durch, und es gab keinerlei medizinische Einwände. Wir machten sogar psychologische Tests, und sie ergaben, dass er geistig völlig gesund und durchaus in der Lage war, diese Entscheidung zu treffen.
Er stellte nur eine einzige Bedingung. Wir mussten absolute Geheimhaltung, totale Vertraulichkeit schwören. Der Empfänger dürfe nicht wissen, woher die neue Niere kam. Das sei sehr wichtig. Dieser Mensch dürfe nicht das Gefühl haben, ihm zu Dank verpflichtet zu sein. Und kein Wort an die Presse. Darauf bestand er. Er wolle keinen Ruhm.«
Leise, beinahe zaghaft, fragte Will: »Und da haben Sie’s gemacht?«
»Ja. Ich habe die Operation selbst durchgeführt. Und ich sage Ihnen, ich glaube, auf nichts in meiner Laufbahn bin ich so stolz wie auf diese Operation. Uns allen ging es so: dem Anästhesisten, den Schwestern. An diesem Tag herrschte im OP eine ganz besondere Atmosphäre – als sei etwas wahrhaft Bemerkenswertes im Gange.«
»Und die Operation verlief ohne Komplikationen?«
»Ja. Der Empfänger vertrug das Organ ausgezeichnet.«
»Darf ich fragen, um was für einen Empfänger es sich handelte?«
»Es war eine junge Frau. Mehr sage ich nicht.«
»Und obwohl sie jung war und er alt, hat es geklappt?«
»Ja. Natürlich haben wir die Niere untersucht und aufmerksam überwacht. Wissen Sie, Baxter war über fünfzig, aber das Organ arbeitete, als wäre er vierzig Jahre jünger. Sehr kräftig, völlig gesund. Perfekt.«
»Und für die junge Frau hat es alles verändert.«
»Es hat ihr das Leben gerettet. Die Mitarbeiter und ich wollten nach der Operation ein kleines Fest für ihn geben, um ihm zu danken. Es wird Sie nicht wundern, dass es dazu niemals kam. Er entließ sich selbst, bevor wir ihm auch nur Auf Wiedersehen sagen konnten. Er verschwand einfach.«
»Und danach haben Sie nie wieder etwas von ihm gehört?«
»Doch, einmal noch, vor ein paar Monaten. Er wollte Vorkehrungen für den Fall seines Todes treffen …«
»Tatsächlich?«
»Geraten Sie nicht zu sehr aus dem Häuschen, Mr. Monroe. Ich glaube nicht, dass er wusste, dass er sterben würde. Aber er wollte sicher sein, dass alles, sein ganzer Körper, Verwendung finden würde.« Dr. Huntley lachte leise und wehmütig. »Er fragte mich sogar, welches die optimale Art zu sterben sei.«
»Die optimale Art?«
»Von unserem Standpunkt aus. Wie wir, sagen wir, sein Herz am besten zu einem Empfänger bringen könnten. Ich glaube, weil er so abgelegen wohnte, befürchtete er, sein Herz könnte unbrauchbar sein, wenn es – beispielsweise nach einem Verkehrsunfall – im Krankenhaus ankäme. Das einzige Szenario, das er natürlich nicht in Betracht gezogen hatte, war ein brutaler Mord.«
»Haben Sie eine Vermutung -?«
»Ich habe keine Ahnung, wer am Tod dieses Mannes interessiert sein konnte, nein. Das habe ich gerade schon zu Dr. Russell gesagt. Ich kann mir nur vorstellen, dass es ein absolut willkürliches, furchtbares Verbrechen war. Denn niemand, der ihn kannte, hätte diesen Mann ermorden wollen. Niemand.«
Sie schwieg, und Will ließ sie schweigen. Das hatte er gelernt: Sag nichts, und dein Interviewpartner wird die Leerstelle manchmal mit dem besten Satz des ganzen Interviews ausfüllen.
Als Dr. Hundey wieder sprach, klang ihre Stimme brüchig. »Wir haben darüber gesprochen, als es passierte, und wir haben heute wieder darüber gesprochen. Meine Kollegen und ich sind uns einig. Was dieser Mann getan hat, was Pat Baxter für einen Menschen getan hat, dem er nie begegnet war und nie begegnen würde – das war wirklich das Gerechteste, was wir je erlebt
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