Die Gerechten
gewesen.
Sie tauschten E-Mail-Adressen aus und verabschiedeten sich, und Will setzte seine lange Fahrt fort. Bob Hill war ohne Frage ein bisschen verrückt – ein Gen für Dissidenten, du lieber Himmel –, aber die Sache mit der Niere war wirklich merkwürdig. Warum hatten Baxters Mörder ihm eine Betäubungsspritze gegeben? Und warum besaß er nur noch eine Niere?
Er fuhr von der Route 200 herunter, um Tank und Magen zu füllen. In einem Imbisslokal bestellte er ein Soda und ein Sandwich. Im Fernseher liefen die FOX-Nachrichten.
Nach London – und weitere Neuigkeiten über den Skandal, der die britische Regierung zu stürzen droht.
Sie zeigten einen gehetzt aussehenden Gavin Curtís, der im Blitzlichtgewitter der Fotografen und Fernsehkameras aus einem Auto stieg.
Wie eine britische Zeitung heute meldet, finden sich in den Unterlagen des Finanzministeriums eindeutige Unstimmigkeiten, die nur von ganz oben autorisiert worden sein können. Während Oppositionspolitiker die vollständige Offenlegung aller Konten fordern, erklärt Mr. Curtis’ Sprecher lediglich, es gebe ›keinerlei Unregelmäßigkeiten …‹.
Ohne nachzudenken, machte Will sich Notizen. Nicht, dass er sie jemals brauchen würde: Curtís’ Chancen, jetzt noch an die Spitze des Internationalen Währungsfonds aufzusteigen, waren praktisch gleich Null. Während er zusah, wie Curtís um die blökende Journalistenmeute herumbugsiert wurde, wanderten seine Gedanken auf trivialeres Gelände. Wieso hat er einen so alltäglichen Wagen? Dieser Gavin Curtis sollte der zweitmächtigste Mann in Großbritannien sein, aber er ließ sich in einem Auto herumkutschieren, das aussah, als gehöre es einen Staubsaugervertreter. Lebten alle britischen Minister so bescheiden – oder war das eine Eigenart von Gavin Curtis?
Bei einem Anruf im Büro des Sheriffs von Sanders County erfuhr er, dass Baxter, auch wenn das FBI im Zusammenhang mit dem Unabomber-Fall gegen ihn ermittelt hatte, nicht vorbestraft gewesen war. Man hatte ihn aufmerksam beobachtet, aber dabei hatte sich nichts ergeben: ein oder zwei unerklärte Reisen nach Seattle, aber kein Hinweis auf irgendwelche Straftaten. Er hatte eine saubere Weste gehabt.
Will blätterte in seinem Notizbuch zurück. Er hatte, so gut es ging, alle wichtigen Informationen aus dem Autopsiebericht aufgeschrieben, auch den Namen am Ende des Dokuments: Dr. Allan Russell, Pathologe, Forensische Abteilung, Staatliches Labor für Gerichtsmedizin. Vielleicht konnte dieser Dr. Russell ihm sagen, was Mr. Baxters Milizkamerad nicht wusste. Wie war Pat Baxter gestorben – und warum?
9
MITTWOCH, 18.51 UHR, MISSOULA, MONTANA
Er war zu spät gekommen; das gerichtsmedizinische Labor war bereits geschlossen. Daran war auch nichts mehr zu ändern: Das Personal war nach Hause gegangen. Er würde morgen wiederkommen müssen. Das hieß, er würde die Nacht in Missoula verbringen müssen. Er stieg im Holiday Inn ab: die dritte Nacht mit Zimmerservice und Fernbedienung. Als Erstes rief er Beth an.
»Ich glaube, du machst die Sache vielleicht ein bisschen zu kompliziert«, sagte sie. Er hörte, dass sie gerade aus dem Bad kam.
»Aber sie ist kompliziert. Dem Kerl fehlt eine Niere.«
»Du musst eine Krankenakte sehen. Vielleicht – wie heißt er gleich wieder?«
»Baxter.«
»Vielleicht hatte Baxter ein chronisches Nierenleiden. Irgendein Verweis darauf, auf Dialyse, auf irgendwelche Probleme mit den Nieren – und du hast eine Erklärung.«
Will schwieg.
»Ich verderb’s dir, nicht wahr?«
»Na ja, was den Nachrichtenwert angeht, ist es sicher ein Kopfan-Kopf-Rennen zwischen dem Tod eines alten Mannes mit einem Nierenleiden und einem Fall von Organraub und Mord. Aber, ja, du hast schon Recht: Der Organraub könnte doch einen Tick besser sein.«
Will war froh, dass sie wieder miteinander flachsen konnten. Seit ihrem Streit waren ein paar Tage vergangen, und die Wunde verheilte allmählich.
Am nächsten Vormittag wurde er in Dr. Russells Büro gefuhrt – und er sah es sofort: Die Urkunde an der Wand trug ein Emblem, das er gut kannte. Ein offenes Buch mit lateinischen Worten, und darüber zwei Kronen.
»Ah, Sie waren in Oxford. Genau wie ich. Wann haben Sie dort studiert?«
»Ein paar Jahrhunderte vor Ihnen, nehme ich an.«
»Das glaub ich nicht, Dr. Russell.«
»Nennen Sie mich Allan.« Ein guter Anfang – endlich.
»Wissen Sie, Allan, es steht noch nicht fest, dass ich darüber schreiben werde, aber ich muss
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