Die Gerechten
Er röchelte – ein sandig trockenes Rasseln, das kaum noch menschlich klang. Seine Beine zitterten, und seine Hände umklammerten den Unterarm des Mannes, der ihn erdrosselte.
Es half nichts. Eine neue Art von Dunkelheit durchdrang die alte, und er sackte zusammen. Der Fremde riss ein neues Streichholz an, bückte sich und schloss dem Töten die Augen. Er murmelte ein kurzes Gebet, verbeugte sich vor dem Toten, richtete sich auf und klopfte sich den Staub von den Kleidern. Er ging zu der Tür, durch die er hereingekommen war, und stellte sorgfältig den Stromkreis wieder her, den er vor wenigen Minuten unterbrochen hatte. Dann trat er hinaus in die Nacht, anonym und unbemerkt, genau so, wie Jean-Claude es gewollt hatte.
23
SAMSTAG, 8.40 UHR, MANHATTAN
Bei ihrer nächtlichen Unterhaltung hatte TC sich nicht weiter für Josef Jitzhok interessiert. Sie hatte sich auf den »Rebbe« konzentriert, auf das, was in dem Klassenzimmer und in der Mikwe passiert war. Aber jetzt richtete sie das Scheinwerferlicht ihres Verstands auf den kurzen Wortwechsel, der am Ende von Wills unglückseligem Aufenthalt in Crown Heights gestanden hatte.
»In einem Punkt irrst du dich«, sagte sie. »Es leuchtet nicht ein, dass Josef Jitzhok die Zeitung mitgebracht hat, um daraufhinzuweisen, dass du für die New York Times arbeitest, und dass sie deshalb auf der Hut sein müssen. Das wussten sie schon. Sie haben die erste E-Mail an deine Times -Adresse geschickt. Als sie herausbekommen hatten, dass du nicht Tom Mitchell warst, sondern Will Monroe, wussten sie auch genau, mit wem sie es zu tun hatten. Mit Beths Ehemann. Einem Reporter der Times.«
»Warum hatten sie dann meine Story auf dem Tisch? Warum hat Jitzhok sie mitgebracht?«
»Du weißt nicht, ob er sie mitgebracht hat. Vielleicht war sie die ganze Zeit da.«
»Nein, ich weiß genau …« Will brach ab. Nach dem Fiasko mit dem Rebbe wusste er überhaupt nichts mehr genau. Er glaubte einen Neuankömmling gehört zu haben, das Rascheln von Papier und eine aufgeregte Diskussion – aber gesehen hatte er nichts. Vielleicht hatte er es falsch gedeutet.
»Und was hat Josef Jitzhok – nennen wir ihn JJ, das spart Zeit. Was hat JJ draußen zu dir gesagt?«
»Er hat sich entschuldigt für das, was drinnen passiert war. Ich hielt es für dummes Geschwätz, auf das ich nichts geben konnte. Aber vielleicht wollte er mir zu verstehen geben, dass er mit der ganzen Geschichte nicht einverstanden war. Vielleicht ist er ein Abweichler! Und vielleicht kann er uns helfen. Als Insider, weißt du?«
»Will, ich weiß, dass du gestresst bist, aber wir müssen kühl und gelassen bleiben. Das hier ist kein Film. Sag mir, was er gesagt hat.«
»Okay, also – er hat sich entschuldigt. Und dann hat er noch was über meine Arbeit gesagt. ›Wenn Sie wissen wollen, was hier vorgeht, sehen Sie sich Ihre Arbeit an.«‹
»Hmmm.« TC ging wieder auf und ab und blieb dann vor einem Bild des Chrysler Building stehen, das aussah, als schmelze es in regnerischem Dämmerlicht. »Dann hat er deinen Artikel in der Zeitung gelesen und weiß, was du tust. Bis dahin wusste er es möglicherweise nicht.«
»Aber du hast doch gesagt, das wussten sie schon, als sie mir mailten.«
»Ja. Sie wussten es. Der Rabbi und seine Gehilfen, die dir die Mail geschickt haben, wussten es. Aber dieser JJ gehört vielleicht nicht zum inneren Zirkel. Ihm war es vielleicht neu.«
»Dann ist er möglicherweise doch da hineingeplatzt und hat sie gewarnt, dass ich ein Reporter sei und Ärger machen könne.«
»Möglicherweise. Aber irgendetwas stimmt daran nicht. Wenn er in diesem Raum war, muss er genug Vertrauen genießen, um zu wissen, was vorgeht. Es muss etwas anderes dahinter stecken. Aber okay, sagen wir, du hast Recht. Was da vorgeht, gefällt ihm nicht. Also bricht er das Sabbatgebot, um dir per SMS zu sagen, dass du nicht aufgeben sollst. Okay. Warum tut er es verschlüsselt?«
»Falls ihm jemand über die Schulter blickt? Oder es in seinem Nachrichtenausgang findet?«
»Ja. Das kann sein. Und ich nehme an, was er dir gestern Abend gesagt hat – »Schauen Sie sich Ihre Arbeit an‹ –, hängt damit zusammen. Vielleicht will er damit sagen, du sollst tun, was du auch bei deiner Arbeit tust: Genau hinschauen und weiter Fragen stellen.«
»Ich schätze, das heißt es. Hör nicht auf, bohre weiter.«
»Gut. Das heißt es also. Okay.« Will sah, dass sie nur halbwegs überzeugt war. »Und was willst du jetzt tun?
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