Die Gerechten
Display verwandelte sich das Wort FOOT in FONT, dann nacheinander in DON’T, ENOU, EMOT, DONU und schließlich ENNU, bevor es wieder zu FOOT wurde. TC notierte das Wort DON’T.
Dann schrieb sie RUNS, und die *-Taste machte daraus nacheinander SUMS, SUNS, PUNS, STOP, RUMP, SUMP, PUMP und schließlich STOR, SUNR und QUOR. Wieder notierte sie ein Wort.
»Da«, sagte sie mit der Genugtuung einer fleißigen Schülerin, die ihre Mathearbeit in Rekordzeit fertig gestellt hatte. Aus den Nonsense-Wörtern FOOT RUNS war eine klar verständliche Ermutigung geworden. DON’T STOP.
Hör nicht auf.
Es war gar kein richtiger Geheimcode, erkannte Will, sondern nur eine clevere Verwendung der Worterkennungsfunktion, die auf den meisten Handys zur Verfügung stand: Für jedes Wort, das man eintippte, bot das Programm die möglichen Alternativen an, die bei der Verwendung derselben Tasten zustande kommen konnten. Um FOOT zu schreiben, drückte man die Tasten 3-6-6-8, aber weil jede Taste drei Buchstaben hervorbringen konnte, waren eben auch all die anderen Kombinationen möglich. Wer immer diese Nachricht geschickt hatte, war auf eine neue Verwendungsmöglichkeit dieser Funktion gestoßen.
TCs Genugtuung währte nicht lange. Schön, sie hatten die Nachricht entschlüsselt, aber sie wussten immer noch nicht, was sie bedeutete, und sie hatten keine Ahnung, wer sie geschickt hatte.
»Und wer zum Teufel ist dann B GATES?«
»Mal sehen.« TC griff wieder zum Telefon. »Also, für B gäbe es auch A oder C.« Sie gab das Wort GATES ein, und dafür ergab sich HATES, HAVES, HAVER und HATER.
»Was könnte das heißen?«, fragte Will. »Hater? Ein Hasser? Jemand, der mich hasst?«
»Oder das Gegenteil.« TC war plötzlich aufgeregt.
»Das Gegenteil?«
»Das Gegenteil von einem Hasser. Ein Freund.«
»Aber das steht nicht da.«
»Doch. Haver. Das ist das hebräische Wort für Freund. B GATES ist A Haver. Ein Freund. Die Nachricht bedeutet: Hör nicht auf. Ein Freund.« Sie stand auf und ging ruhelos auf und ab. »Wer könnte ein Interesse daran haben, dich in deiner Entschlossenheit zu bestärken? Wer könnte denken, dass du sonst vielleicht aufgibst?«
»Die Einzigen, die überhaupt von dieser Sache wissen, sind mein Vater, Tom, du und die Chassiden selbst.«
»Und sonst niemand, da bist du sicher. Niemand sonst weiß, was passiert ist?«
Der Gedanke an Harden und die Redaktion durchzuckte ihn: Er würde sich bald melden müssen.
»Nein. Niemand weiß es. Und da weder du noch Tom noch mein Dad mich anonym kontaktieren, bleiben die Chassiden. Vielleicht haben wir’s mit einer Spaltung zu tun.«
»Was meinst du damit?«
Es gefiel ihm, dass er TC ausnahmsweise einen Schritt voraus war. Politik war nie ihre Stärke gewesen.
»Eine Spaltung in den Reihen der Feinde. Das hier kann nur jemand geschickt haben, der gehört hat, was der Rebbe gestern zu mir gesagt hat – ich meine, der Rabbi, der gestern mit mir gesprochen hat. Und er muss wollen, dass ich seine Anweisungen ignoriere. Offenbar ist er nicht einverstanden mit dem, was der Rabbi tut. Er will nicht, dass ich aufhöre. Und ich glaube, ich weiß, wer es ist.«
22
SAMSTAG, 8.35 UHR, PORT-AU-PRINCE, HAITI
In letzter Zeit kam er nur noch einmal in der Woche zur Kontrolle her. Die Geheime Kammer schien jetzt von allein zu laufen und verlangte nur ein Mindestmaß an Aufsicht. Seine Besuche hatten jetzt weniger praktische als vielmehr sentimentale Gründe: Er sah es gern, dass seine kleine Erfindung so gut funktionierte.
Natürlich war es nicht seine erste Erfindung. Unten im Hafen hatte er eine neue Roll-on-Roll-off-Methode zum Entladen der Schiffe eingeführt, die aus Lateinamerika kamen und in die USA weiterfuhren. Er hatte es nicht so geplant, aber es hieß, sein System habe den Drogenhandel des Landes revolutioniert. Er hatte lediglich die Effizienz des Import-Export-Handels erhöhen wollen, aber dank ihm konnte das Kokain, das aus Kolumbien kam, ohne langen Aufenthalt nach Miami weiterbefördert werden. Von dort verbreiteten sich die Pakete innerhalb von Stunden wie in einem Spinnennetz über die amerikanischen Großstädte, nach Chicago, Detroit und New York. Haitis Drogenbosse brüsteten sich damit, dass von zehn Linien Koks, die in den Nasenlöchern amerikanischer Bürger verschwanden, mindestens eine durch Port-au-Prince gegangen war.
In seinen gesellschaftlichen Kreisen erwarb Jean-Claude damit Prestige. Unter den Dollarmillionären von Petionville in ihren
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