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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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einer Ecke ihres Wohnzimmers verstaubte eine alte Gitarre, ein Erinnerungsstück an Studententage, als sie alte Songs über Liebe und Leid gesungen und sich dabei selbst begleitet hatte. Sie sang nur noch selten dieser Tage. Will musste sie mit großem Aufwand beknien. Aber wenn sie es tat, hob sich sein Herz.
    Wills Augen brannten. Am liebsten hätte er geweint bei dieser unverhofften Erinnerung an seine Frau. Er wollte das Notizbuch beiseite legen, den Kopf auf die Arme sinken lassen und die Erinnerung festhalten, wie ein Kind eine Seifenblase einfangen will, ohne dass sie platzt.
    Stattdessen machte er sich auf die Suche nach dem Notizbuch, das er vor fünf Tagen hier liegen gelassen hatte. Er hatte es in Brownsville mitgehabt und beidseitig voll geschrieben. Das musste er sich ansehen.
    Es lag nicht unter dem Stapel Pressemitteilungen, und auch nicht in dem Stapel Zeitschriften und Zeitungen, die er bereits angesammelt hatte, um Ausschnitte zu machen (das tat er theoretisch gern, aber er kam nie dazu). Er durchsuchte die Schubladen, die er an seinem ersten Tag mit Post-it-Zetteln, Visitenkarten, Batterien und einem alten Kassettenrecorder (für den Fall, dass sein Minidisc-Recorder kaputtgehen sollte) voll gestopft hatte. Auch hier nichts. Er warf einen Blick auf seinen Stuhl und auf den Boden, und dann wühlte er noch einmal durch die Papierstapel.
    Er sah sich in dem kleinen Kabuff um, und sein Blick verharrte auf dem Foto von Amy Woodsteins kleinem Sohn, der anscheinend einen Ringkampf mit seiner Mutter machte. Beide lachten, und Amys Gesicht zeigte eine entspannte Fröhlichkeit, die weder sie noch sonst jemand hier in der Redaktion je zeigte.
    Plötzlich klang ihre Stimme in seinem Kopf.
    Ich rate Ihnen, Ihre Notizbücher einzuschließen, wenn Terry in der Nähe ist. Und sprechen Sie am Telefon lieber leise.
    Langsam drehte er sich zu Waltons Schreibtisch um. Er sah sauber aufgeräumt wie immer aus, und nirgends lag überflüssiges Papier herum. Nur ein einziger gelber Schreibblock.
    Will ging langsam hinüber, und instinktiv huschte sein Blick nach rechts und links, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war. Er strich mit der Hand über den Tisch, als müsse er sich durch eine Berührung bestätigen, dass er wirklich so leer war, wie er aussah. Da war nichts. Er hob den gelben Block hoch und sah nach, ob noch etwas darunter lag. Nein.
    Seine Hand näherte sich der Schreibtischschublade. Sein Blick wanderte weiter durch den Raum, als er daran zog. Sie glitt heraus – ungefähr einen Fingerbreit, aber nicht weiter. Abgeschlossen.
    Will setzte sich auf Terry Waltons Stuhl und fing an, nach dem Schlüssel zu suchen. Er musste hier irgendwo sein; niemand trug den Schreibtischschlüssel an seinem Schlüsselbund mit sich herum, oder? Er strich mit der Hand unter der Tischplatte entlang – vielleicht war der Schlüssel dort mit Klebstreifen befestigt. Er tastete sich immer weiter vor, bis seine Hand in der Mitte der Tischplatte angekommen war. Nichts.
    Er lehnte sich zurück. Wo konnte der Schlüssel sein? Es gab hier praktisch kein Versteck. Auf dem Tisch waren nur der gelbe Block und ein paar klägliche Souvenirs aus Waltons Glanzzeit als Auslandskorrespondent: eine Leninbüste und – das bizarrste Stück – eine Schneekugel, die aber keine schlittenfahrenden Kinder oder Rentiergespanne enthielt, sondern einen väterlich aussehenden Saddam Hussein, der zwei Kindern die Arme entgegenstreckte. Ba’ath-Kitsch, zweifellos erworben, als Walton über den ersten Golfkrieg berichtet hatte. Ohne nachzudenken, hob Will die Kugel auf, um sie zu schütteln und den irakischen Diktator ins Schneegestöber zu stürzen. Als die ersten Flocken herumwirbelten, sah er es. Unter dem Boden der Plastikkugel klebte ein dünner silberner Schlüssel.
    »Guten Abend, William.«
    Will erstarrte. Er war ertappt worden. Langsam drehte er sich auf dem Stuhl um.
    Der Mann stand im Schatten und war kaum zu sehen. Aber Will erkannte das Profil, bevor er die Gesichtszüge ausmachen konnte. Townsend McDougal, der Chefredakteur der New York Times.
    »Oh, hallo. Guten Abend.« Seine Stimme klang nervös, erschöpft und panisch.
    »Eifer und Engagement sind mir ja schon begegnet, William, aber das hier geht doch sicher weit über Ihre Pflichten hinaus. Nicht nur, dass Sie an einem Samstagabend schuften – Sie tun es auch noch am Schreibtisch eines Kollegen. Überaus fleißig.«
    »Aah. Ja. Sorry. Stimmt. Ich hab was gesucht. Ich

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