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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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vorbei: Trotz all ihrer Bemühungen und seiner Hilfe hatten sie das zehnteilige Rätsel nicht lösen können. Sie waren gescheitert.
    »Ich kann nicht glauben, dass ich so dämlich war.«
    »Was?« Will blickte auf. TC hatte sich zurückgelehnt, die Hände auf dem Kopf verschränkt, und schaute an die Decke.
    »Ich war unglaublich blöd.« Ungläubig lächelnd schüttelte sie den Kopf.
    »Sagst du mir bitte präzise, wovon du redest?« Will hörte, dass seine Stimme über die Maßen höflich und englisch klang – wie immer, wenn er sich bemühte, ruhig zu bleiben.
    »Es war so nahe liegend, und ich hab’s so kompliziert gemacht. Wie viele Stunden hab ich jetzt damit verbracht?«
    »Soll das heißen, du hast die Lösung?«
    »Ich hab die Lösung, ja. Was hat er uns geschickt? ›Viele Köche verderben den Brei.‹ ›Gut Ding will Weile haben.‹ Er hat uns Sprichwörter geschickt. Sprüche. Zehn Sprüche.«
    »Stimmt. Also … sorry, aber du wirst es mir erklären müssen. Ich sehe, dass es zehn Sprüche sind. Das Dumme ist nur, wir wissen nicht, was sie bedeuten sollen.«
    »Sie bedeuten gar nichts. Sie sollen nichts bedeuten. Er schreibt zehn Sprüche. Denn dort sollen wir nachschlagen. Sprüche, zehn.«

27
    SAMSTAG, 20.27 UHR, MANHATTAN
    Er war schon genauso lange da wie sie, und wahrscheinlich murmelte er auch genauso laut vor sich hin. Er war allein, mittleren Alters und wahrscheinlich obdachlos; sein Gesicht war aufgequollen von Sonne, Regen und Kälte. Im Laufe des Nachmittags hatte Will gesehen, wie er ein halbes Apfeltörtchen gegessen hatte, das er von einem Mann bekommen hatte, der einen iPod trug (der Mann hatte nicht mal die Ohrhörer herausgenommen), und vielleicht anderthalb Tüten Pommes frites.
    Will wusste, dass es der Mann war, an den sie sich wenden mussten. Sein andauerndes Gemurmel war nicht ausschließlich aus einem wirren Kopf gekommen. Hin und wieder hatte er laut aus der in schwarzes Plastik gebundenen Bibel vorgelesen, die er in der Hand hielt.
    Will war sein planloses Predigen im Laufe des Nachmittags auf die Nerven gegangen, genau wie vielen anderen Gästen, die sich wohlweislich nicht allzu dicht neben den Mann gesetzt hatten. Aber jetzt war er ihm dankbar.
    Mit einer heißen Tasse Kaffee ging er vorsichtig auf ihn zu. Aus der Nähe sah er, dass die Nase des Mannes von geplatzten Äderchen überzogen war. Zu viel Sonne? Zu viel Alkohol? Will wusste es nicht, und in diesem Augenblick war es ihm auch ziemlich gleichgültig. Er wollte nur eines.
    »Sir, möchten Sie vielleicht eine Tasse Kaffee? Er ist ganz frisch.«
    Der Mann blickte mit wässrigen Augen zu ihm auf. Das Weiße der Augäpfel war gelb.
    »Wo der Herr nicht bei uns wäre, so sage Israel, wo der Herr nicht bei uns wäre, wenn die Menschen sich wider uns setzen: so verschlängen sie uns lebendig, wenn ihr Zorn über uns ergrimmte.«
    »Ja, Sir, da haben Sie sicher Recht«, warf Will ein, als der Mann Atem holte. Aber es half nichts, der Mann redete weiter. ■ »So ersäufte uns Wasser, Ströme gingen über unsre Seele; es gingen Wasser allzu hoch über unsre Seele.«
    »Sir, es tut mir Leid, wenn ich Sie hier einfach belästige, aber könnten Sie mir wohl für einen Augenblick Ihre Bibel leihen?«
    »Gelobet sei der Herr, dass er uns nicht gibt zum Raub in ihre Zähne! Unsre Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Stricke des Voglers; der Strick ist zerrissen, wir sind los.«
    »Ja, Sir, das denke ich auch. Aber dürfte ich einen kurzen Blick in Ihre Bibel werfen?« Will beugte sich vor und wollte ihm das Buch aus der Hand nehmen. Aber der Mann war überraschend stark und wollte nicht loslassen.
    »Unsre Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erden gemacht hat.«
    »Ja, ja, das ist auch meine Ansicht. Jetzt geben Sie mir kurz das Buch.« Aber der Mann hielt es noch entschiedener fest. Will zerrte daran, aber der Mann ließ nicht locker und murmelte weiter vor sich hin.
    Will blickte auf: TC war dazugekommen. Er saß inzwischen fast neben dem Tramp und versuchte, ihm das Buch waagerecht aus der Hand zu ziehen. Er wusste, dass es lächerlich aussehen musste, wie er hier dem alten Mann seine Bibel wegnehmen wollte.
    »Sir«, sagte TC leise, »glauben Sie, wir könnten zusammen beten?« Der McDonald’s-Prediger verstummte. TC sprach weiter, und in ihrer sanften Stimme lag pure Vernunft. »Darf ich vorschlagen, dass wir unseren Text aus dem Buch der Sprüche nehmen, Kapitel zehn?«
    Ohne ein Widerwort öffnete der Mann

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