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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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Meyer. Tote würden ausschließlich verbrannt, behauptet Tacitus. Von wegen: Die Germanen taten so ziemlich alles, was man mit Toten tun kann. Einige wurden verbrannt, andere nicht. Einige wurden in Urnen bestattet, andere in Särgen, Booten, Eimern, auf Brettern oder auch einfach nur im Boden. Auch dass Toten Waffen mit ins Grab gegeben werde, ist so pauschal falsch. Es kommt zwar gelegentlich vor, ist aber nicht die Regel.
    Noch in einem anderen Punkt hat Tacitus an der Wahrheit vorbei geschrieben: Germanen, erklärt er, machten sich nichts aus Silbergeschirr. »Dass bei den Germanen Gefäße aus Silber – die von den Römern stammen – ebenso gering in Wert stehen wie Tongefäße, kann anhand der Ausstattung der Fürstengräber widerlegt werden«, kontert Meyer. Ein Paradefall ist mit Sicherheit das Grab des sogenannten Fürsten von Gommern. Ehrenamtlichen Denkmalpflegern war im Jahr 1990 ein merkwürdiger Haufen Steine auf dem Gerstenberg bei Gommern in Sachsen-Anhalt aufgefallen. Darunter lag in einer zwei mal drei Meter großen hölzernen Grabkammer ein für die damalige Zeit sehr großer Mann – mit seinen Schätzen. Vieles davon stammte aus dem Römischen Reich: Münzen, ein wertvolles Trinkglas oder auch der silberne Schildbuckel. Dieser war tatsächlich einst ebenfalls ein Trinkgefäß gewesen; umgestülpt und auf der Mitte des Schildes befestigt, machte er sich nun überaus prächtig. Bemalt war der Schild leuchtend rot – mit Zinnober, das es damals nur auf der Iberischen Halbinsel gab. Die kontrastierende weiße Farbe hingegen war echte Kreide von der Ostsee. Die Anthropologen konnten nachweisen, dass der Besitzer mit etwa 25 bis 30 Jahren starb. Aber war er tatsächlich ein Fürst, ein Herrscher? Oder lediglich ein reicher Mann, der viel gereist war oder regen Handel mit anderen Teilen der bekannten Welt betrieben hatte?
    Dass Knochen allein nur wenig über die soziale Stellung eines Toten aussagen, zeigt eindringlich der Friedhof von Rebenstorf im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Obwohl die Archäologen hier über 1000 Brandgräber gezählt haben, fanden sie lediglich drei Beigaben: einen silbernen Halsring, einen Fingerring aus Silber und einen bronzenen Trinkhornbeschlag. Darf man daraus ableiten, dass in Rebenstorf alle an der Armutsgrenze lebten? Wohl kaum.
    Ähnlich dünn ist das Eis, wenn es um die Interpretation der Funde selbst geht. Für wen und wie wurden Grabbeigaben ausgewählt? Entschieden religiöse Motive? Oder Vorlieben? In einem reichen Grab im dänischen Hoby auf der Insel Lolland beispielsweise fanden die Archäologen in einem germanischen Grab – wiederum Tacitus zum Trotz – kostbares römisches Silbergeschirr. Zwei Becher sind reich mit Szenen aus der Ilias von Homer verziert; auf einer Schale reckt sich die nackte Venus. Ein Indiz, dass der Tote der römischen Liebesgöttin huldigte oder sich gut in der griechischen Sagenwelt auskannte? Eher unwahrscheinlich.
    So erleben Archäologen auf germanischen Friedhöfen immer wieder Überraschungen. Ganz in der Nähe von Feddersen Wierde liegt die Dorfwurt Fallward. Auf dem zugehörigen Friedhof fand sich ein zentrales Grab innerhalb eines Kreisgrabens. Der Tote war den Bewohnern offenbar sehr wichtig gewesen: Er lag in einem Holzsarg unter dicken gekreuzten Balken. Um den Sarg herum hatten sie allerlei Holzgegenstände aufgestellt: einen Hocker, einen Tisch, Gefäße. Im Sarg selbst konnten die Ausgräber den Körper des Toten zunächst gar nicht ausmachen, so dick war er in kostbare Stoffe gehüllt. Als sie dann Schicht für Schicht entfernten, befand sich darunter gar kein großer Krieger, sondern ein zierliches Mädchen. Warum bekam sie als einzige Bewohnerin der Fallward so ein prächtiges Begräbnis? Dass die Kleine eine besondere Führungsrolle auf der Wurt spielte, ist jedenfalls eher unwahrscheinlich.
    Im Krieg, in ihren Häusern oder auf ihren Friedhöfen bleiben die Germanen also auch aus archäologischer Sicht das, was die Nachbarvölker mitunter bis heute von ihnen denken: ziemlich schwer zu fassen.

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