Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
hingegen »lassen sich weder von Priestern leiten, noch bringen sie eifrig Opfer dar … Ihr Leben besteht nur aus Jagd und Krieg. Von klein an härten sie sich ab und trainieren. Wer am längsten seine Keuschheit bewahrt, trägt bei den Seinen das größte Lob davon. Das, meinen sie, fördere den Wuchs, nähre die Kräfte und festige die Muskeln … Als Kleidung tragen sie Felle oder kleine Pelzkleider, die den größten Teil des Körpers unbedeckt lassen … Raub gilt nicht als Schande, wenn er außerhalb der Stammesgrenzen stattfindet, ja, sie loben es, wenn dergleichen geschieht, um die junge Mannschaft zu üben und trägem Nichtstun zu steuern.« Cäsar betont auch den Wandertrieb und die Verschlagenheit der Germanen immer wieder. Eindringlich warnt er davor, »dass die wilden Barbaren, wenn sie erst einmal ganz Gallien besetzt hätten, sich nicht zurückhalten würden, wie einst die Kimbern und Teutonen in die Provinz einzudringen und von dort nach Italien zu ziehen«. Ganz bewusst rührt er damit an das Trauma von Arausio. Und tatsächlich sind die Römer ihrem Feldherrn für das Zurückdrängen der gefürchteten Unholde so dankbar, dass seine rechtlich nicht immer lupenreinen Feldzüge vor dem Senat keine negativen Folgen für ihn haben.
Auch nach Cäsars Rückkehr in die Hauptstadt bleibt es am Rhein relativ ruhig. Erst im Jahr 16 vor Christus töten die Sugambrer einige Römer, die sich in ihr Gebiet vorgewagt haben, überqueren danach den Rhein und plündern die Provinz. Als der Statthalter Marcus Lollius den Eindringlingen mit einer Legion entgegentritt, wird er vernichtend geschlagen und verliert sogar das Feldzeichen, den Legionsadler – ein Schock für die seit Cäsar wieder siegesgewohnten Römer.
Kaiser Augustus, seit 31 vor Christus an der Macht, zieht jetzt selbst ins Grenzgebiet und ändert seine Germanenpolitik von Grund auf: Man reagiert nicht mehr nur auf Attacken der Barbaren, man stößt selbst ins Feindesland vor. In den folgenden Jahren unterwerfen die Römer in zähen Kämpfen diverse germanische Stämme, errichten zwischen Rhein und Elbe Legionslager und Städte und führen sogar römische Verwaltungsstrukturen ein. Erst ein blutiger Hinterhalt bremst den Vormarsch des Imperiums. Die Schlacht am Teutoburger Wald kostet Rom nicht nur drei Legionen, sondern vor allem das mühsam gewachsene Vertrauen, dass die Nordgrenze langfristig doch Friedenszone werden könnte. Die Germanen überrennen die bis an die Weser vorgeschobenen römischen Lager, machen jedoch am Rhein halt.
Wie einst Cäsar versucht nun auch Augustus, die schlimmen Erinnerungen an den Vormarsch der Kimbern und Teutonen auf Rom zu reanimieren. Schließlich braucht er nach dieser Niederlage dringend Nachschub für seine Truppen, um die Grenzen zu sichern. Doch die Furcht, in den fernen Sümpfen von rebellischen Wilden niedergemetzelt zu werden, ist offensichtlich größer als die Angst vor einer germanischen Alpenüberquerung. Um genügend Männer zu finden, die das Imperium an der Rheingrenze verteidigen, muss Augustus drakonische Strafen für Kriegsdienstverweigerer verhängen. Vier Jahre später soll der Feldherr Germanicus trotzdem die Eroberungsfeldzüge fortsetzen. Doch er agiert nachlässig und ungeschickt; mehrfach erleiden die Römer hohe Verluste. Im Jahr 16 zieht Augustus’ Nachfolger Tiberius deshalb alle Truppen aus Germanien ab.
Damit endet das Zeitalter der römischen Expansion jenseits des Rheins; bis zum Winter 406/407, in dem die Germanen den zugefrorenen Rhein überschreiten und in den römischen Provinzen Königreiche errichten werden, geht es Rom vorrangig um Stabilität an der langen gemeinsamen Grenze. Denn so viel Handel auch stattfindet, richtig friedlich wird die Nachbarschaft kaum. Für die Römer bleiben die Germanen ein ständiger Unsicherheitsfaktor. Für die Germanen sind die Römer immer auch kaltblütige Feinde, die auf ihren Feldzügen die Bevölkerung nicht schonen.
Trotzdem sind beide Seiten voneinander fasziniert. Die Germanen staunen über den Luxus und die Disziplin ihrer südlichen Nachbarn; die Römer bewundern die Ursprünglichkeit und Freiheitsliebe der Barbaren. Man treibt Handel miteinander, übernimmt Sitten und Techniken. Und ist sich dabei auf beiden Seiten doch stets gewiss: Das bessere Volk sind wir.
Furor aus dem Norden
Selten ist Rom so geschockt worden wie von den mutigen Kimbern und Teutonen. Erst in der Provence konnte Konsul Gaius Marius die Invasoren stoppen.
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