Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
schreibt, schon um Runen?
Magie war jedenfalls oft im Spiel. In Waffen geritzt, sollten Runen Glück im Kampf bringen: »Zielreiter«, »Erprober« oder »Angreifer« steht auf Lanzen oder Schwertern. Silberne Amulette tragen Zaubersprüche, die Unheil fernhalten sollen. Häufig taucht die Formel »Alu« auf, die wohl etwas wie »Abwehr« oder »Schutz« meint. Auch auf Grabsteinen ist das Wort erhalten, etwa auf dem norwegischen Stein von Eggja. Ein Bauer fand die 1,60 Meter lange Grabplatte beim Pflügen. Sie lag auf einem Hügel, ihre beschriftete Seite dem Erdreich zugewandt. Wahrscheinlich bedeckte sie einst ein Männergrab. Drei Zeilen sind in den Stein geritzt, darunter der Spruch: »alu misyrki«, »Abwehr gegen den Missetäter«. Das mochte Räuber fernhalten, aber auch den Toten hindern, als Wiedergänger in die Welt zurückzukehren. Die Macht der Schrift half also, die Totenruhe zu wahren.
Vielleicht wurden die geritzten Symbole auch deshalb so vorsichtig und sparsam verwendet, weil sie unmittelbar der göttlichen Sphäre entstammten. Ober-Gott Odin hatte zu ihrer Erfindung ein wahres Martyrium auf sich genommen: Neun Nächte lang hing er verwundet, hungernd und dürstend in der Weltesche Yggdrasil, dann ersann er schreiend die Runen und konnte sich endlich vom Baum lösen – ein wahrhaft schamanischer Entstehungsmythos.
Woher die Schriftzeichen tatsächlich stammen, darüber streiten die Gelehrten seit langem. Viele sehen eine enge Verbindung zum Lateinischen, das infolge der römischen Vormachtstellung weitverbreitet war. Oder wurden die Runen doch von einem Alphabet aus den norditalienischen Alpen abgeleitet, das auf die etruskische Schrift zurückgeht?
So viel scheint klar: Inspiriert aus dem Mittelmeerraum, mag das runische Alphabet etwa um die Zeitenwende entstanden sein. Der älteste zweifelsfreie Fund, der Kamm von Vimose, stammt etwa aus dem Jahr 160. Es gibt jedoch noch frühere Stücke mit vorrunischen Zeichen. Menschen wie übernatürliche Welt betraf das, wovon die Ritzungen kündeten. Und nur wenige waren in ihren Gebrauch eingeweiht, vermutlich Menschen der gebildeten Oberschicht.
Mit der Christianisierung verschwinden die Runen langsam aus Mitteleuropa. Vom 7. Jahrhundert an sind sie nur noch in Skandinavien verbreitet, in Form des vereinfachten, jüngeren Futhark, das mit 16 Zeichen auskommt. Im Lauf des Mittelalters entsteht daraus zunehmend eine Alltagsschrift, die sich mit lateinischen Buchstaben mischt. In der schwedischen Region Dalarna schrieben die Bauern noch bis ins Jahr 1900 mit Runen. Die letzte Inschrift ritzte eine Hirtin an eine Hüttenwand: »Anna Andersdotter weidet.«
Rebell gegen Rom
Der germanische Aufstandsführer Arminius, der drei römische Legionen vernichtete, gibt der Nachwelt Rätsel auf – vor allem wegen seiner langjährigen Nähe zur Besatzungsmacht.
Von Uwe Klußmann
Die Nachricht aus dem fernen Norden löste in Rom Entsetzen aus. Aufständische Germanen hatten im September des Jahres 9 nach Christus jenseits des Rheins drei römische Legionen in einen Hinterhalt gelockt und vernichtet. In der Schlacht war ein Achtel der Streitmacht Roms untergegangen. Quinctilius Varus, Befehlshaber der drei Legionen, hatte sich angesichts der Niederlage in sein Schwert gestürzt. Der Klageruf des Imperators Augustus – »Varus, gib mir meine Legionen wieder« – machte die Runde. Was geschehen war, hatte in Rom niemand erwartet. Germanien galt als befriedet. Die blonden Bärtigen zwischen Rhein und Elbe, so schien es, liebten eher Würfelspiele als Widerstand.
Schockierend war an der Schreckensnachricht der Name des Anführers, der die Römer in die tödliche Falle geführt hatte: Arminius vom germanischen Stamm der Cherusker, die mit etwa 200000 Menschen zwischen Elbe, Weser und Harz siedelten. Der intelligente Germanenfürst war geboren um 17 vor Christus, möglicherweise auf einer Bergspitze beim heutigen Bad Driburg. In Rom galt er als Soldat des Imperiums. Arminius besaß das römische Bürgerrecht. Er war des Lateinischen mächtig. Augustus selbst hatte ihn in den Ritterstand erhoben.
Schon der Vater des Arminius, Segimer, war ein geschätzter Verbündeter Roms gewesen. Seine beiden Söhne Flavus und Arminius hatten als Legionäre Kriegsdienst geleistet. Wenn so ein Germanenführer sich als Feind entpuppte, dann waren alle Männer aus dem Norden ein Sicherheitsrisiko. Unverzüglich entließ ein tiefverunsicherter Augustus seine germanischen
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