Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
gesagt den Imperator Caesar Marcus Aurelius Antoninus Augustus, geboren am 26. April 121, bedeutete Krieg nichts Erstrebenswertes. Er war ein sensibler Intellektueller von eher schwächlicher Konstitution, dem »nicht das Glück beschieden war, das er verdienen würde«, urteilte der Historiker Cassius Dio Anfang des 3. Jahrhunderts. Daher sei »vor allem dies zu bewundern, dass er inmitten außergewöhnlicher Schwierigkeiten durchhielt und das Reich durch alle Fährnisse glücklich hindurchsteuerte«.
Zunächst galt es, Langobarden und Obier zurückzudrängen, die 166 in Pannonien, im heutigen Ungarn, die Donau überquert hatten und ins Reich eingefallen waren. Erschwert wurde dies durch eine hartnäckige Epidemie, die römische Soldaten nach ihrem Sieg über die Parther aus dem Osten eingeschleppt hatten. Aber Mark Aurel stand noch etlichen weiteren Schwierigkeiten gegenüber. Roms Finanzpolster war so dünn, dass der Kaiser private Besitztümer für die Kriegskasse versteigern ließ. Nach dem Bericht des Historikers Eutropius wurden »außer Gewändern und Bechern und Geschirr aus Gold auch Statuen und Gemälde großer Meister« auktioniert. In Ermangelung zünftiger Legionäre rekrutierte man Männer, die bislang als »wehrunwürdig« eingestuft worden waren: Sklaven, Gladiatoren, selbst Banditen.
Der genaue Ablauf der Markomannenkriege ist aus schriftlichen Quellen kaum rekonstruierbar; wenigstens lassen Münzfunde manchen Schluss zu. Am 6. Januar 168, so eines der wenigen gesicherten Daten, hielt Mark Aurel in Rom eine Ansprache an die kaiserliche Garde der Prätorianer, wie sie zu Beginn eines Feldzuges üblich war. Dann marschierte er gen Norden und bezog in Aquileia in Nordostitalien sein Hauptquartier.
Der Imperator wollte die im heutigen Tschechien siedelnden Markomannen, die sich mit den benachbarten Quaden in der heutigen Slowakei verbündet hatten, in ihre Grenzen weisen. Deshalb startete er diesen Feldzug, der dann mit dem fehlgeschlagenen Opfer der beiden Löwen unter denkbar unglücklichen Vorzeichen begann. Die schwere Niederlage der Römer lud die Germanen geradezu ein, ins Römische Reich vorzudringen. Im Eiltempo überfielen die Barbaren Norditalien. Ammian, ein Historiker des 4. Jahrhunderts, berichtete schaudernd von »mit rasender Geschwindigkeit vorgetragenen Raubzügen« und »zahlreichen Bluttaten«, gegen die »der gute Kaiser Markus kaum noch Widerstand zu leisten vermochte«.
Die Eindringlinge belagerten das strategisch wichtige Aquileia im heutigen Friaul, dessen Bewohner ihre Stadt hinter eilig errichteten Mauern gerade noch verteidigen konnten. Opitergium, das heutige Oderzo in Venetien, überrannten die Germanen im Nu, plünderten es und brannten es nieder. Bei den Römern in Italien erwachten alte Ängste: Rund 270 Jahre nachdem Kimbern und Teutonen die Region terrorisiert hatten, drohte dem Stammland des Imperiums wieder barbarisches Unheil.
Mark Aurel setzte auf die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls im religiösen Kult. »Die Opferaltäre rauchten, man schlachtete inmitten der Hungersnot in Massen ausgesuchte Tiere«, so ein Biograf. »Gleich eine Woche lang wurden die Statuen der Götter als Festgäste mit Köstlichkeiten bewirtet und zugleich um Erbarmen angefleht.« Aber es trafen neue Schreckensnachrichten ein. Barbaren hatten auch die Länder des Balkans angegriffen; die Grenzprovinzen Thrakien und Makedonien waren schon überrannt. Die Kostoboken, wie sie genannt wurden, kamen bis nach Eleusis und konnten erst kurz vor Athen gestoppt werden. Dank der guten Ausbildung und Disziplin der römischen Soldaten gelang es schließlich, die Eindringlinge zu vertreiben. Mark Aurel konnte sein Hauptquartier im Jahr 171 nach Carnuntum verlegen, ein großes Militärlager an der Donau zwischen dem heutigen Wien und Bratislava. Immer wieder gelang es den Römern, Germanen zu stellen, die mit Beute beladen in ihre Heimat nördlich der Donau zurückzukehren versuchten.
Hauptabsicht des Kaisers musste es nun sein, die Markomannen nicht bloß zu strafen, sondern zur dauerhaften Abschreckung ihre Siedlungsgebiete zu erobern. Dafür versuchte Mark Aurel andere Stämme zur Unterstützung oder wenigstens zur Neutralität zu bewegen. Eine Art kollektiver Führung sollte auf römischer Seite möglichst große Geschlossenheit zeigen. »Weder auf militärischem noch auf zivilem Gebiet unternahm er je irgendetwas, ohne sich vorher mit den führenden Männern beraten zu haben«, schrieb ein
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