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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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berichtete dem Züricher Gelehrten und Schriftsteller Johann Jakob Bodmer von seinem Fund, der das Heldenlied später als »eine Art Ilias« rühmte. Damit war die künftige Wahrnehmung vorgeprägt: So wie Homers griechisches Epos über den Trojanischen Krieg in den Gründungsmythos Roms einging – der geflüchtete Trojaner Aeneas vermählt sich in Italien mit einer latinischen Königstochter –, so sollte das mittelhochdeutsche Versepos von einer heldischen Vergangenheit eine ruhmreiche Zukunft Deutschlands verbürgen.
    Gerade im Kontrast also konnte das Nibelungenlied binnen kurzem zum Urgrund germanischen Wesens umgedeutet werden: Die Hingabe der deutschen Klassik an die Kultur der alten Griechen vereinte sich mit der romantischen Begeisterung für das vermeintlich echt Germanische.
    Der schweizerisch-englische Maler Johann Heinrich Füssli (1741 bis 1825) hat die Verknüpfung beider Identifikationen in einem Gemälde anschaulich werden lassen. Es heißt »Brynhild erblickt Sigurd in der Waberlohe« und stellt die von Siegfried (alias Sigurd) faszinierte Königin Brünhild mit den klassischen Merkmalen der Pallas Athene dar. Auch in Versen vergleicht Füssli den unbekannten Dichter des Nibelungenlieds mit dem griechischen Ur-Epiker: »War nicht Homerus dein Meister? / Die Funken Homerischer Geister / Wehn in des Nibelungs Nacht«.
    »Der Nibelungen Lied könnte die teutsche Ilias werden«, orakelte 1786 der Historiker Johannes von Müller ganz im Sinne von Bodmer. August Wilhelm Schlegel, Mitbegründer der deutschen Romantik, stellte beide Versepen dann 1802 /03 in einer Berliner Vorlesung ausdrücklich nebeneinander: Homer sei zwar im »geflügelten Wohllaut der Sprache« und der »Reinheit der epischen Form« unerreichbar, doch werde er vom Nibelungenlied womöglich noch übertroffen in Bezug auf »Lebendigkeit und Gegenwart der Darstellung, dann die Größe der Leidenschaften, Charaktere und der ganzen Handlung«.
    Aber es wurde auch Widerspruch laut. Ausgerechnet Preußens berühmtester Machtmensch reagierte allergisch, als er merkte, wie begeistert deutsche Kulturkenner dem vorherrschenden französischen Einfluss die nationale Sprache und Überlieferung entgegensetzen wollten. Als Friedrich der Große, der Französisch besser als Deutsch sprach und schrieb, ein Widmungsexemplar der ersten vollständigen Edition des wiederentdeckten Nibelungenliedes zugeschickt bekam, antwortete er barsch. Unter dem Datum des 22. Februar 1784 schrieb er dem Herausgeber Christoph Heinrich Müller:
    Hochgelahrter, lieber getreuer.
    Ihr urtheilt, viel zu vorteilhafft, von denen Gedichten, aus dem 12. 13. und 14. Seculo, deren Druck ihr befördert habet, und zur Bereicherung der Teutschen Sprache so brauchbar haltet. Meiner Einsicht nach, sind solche, nicht einen Schuß Pulver, werth; und verdienten nicht, aus dem Staube der Vergessenheit, gezogen zu werden. In Meiner Bücher Sammlung wenigstens, würde Ich, dergleichen elendes Zeug, nicht dulten; sondern herausschmeißen. Das Mir davon eingesandte Exemplar mag dahero, sein Schicksaal, in der dortigen Bibliothec, abwarten. Viele Nachfrage verspricht aber solchem nicht; Euer sonst gnädiger König. Frch.
    Allerdings konnte Preußens Herrscher mit dieser Ansicht schon damals nicht auf Mehrheiten hoffen – wie er ja auch seinen genialen deutschen Zeitgenossen Lessing, Herder oder Goethe verständnislos gegenüberstand. Die nämlich waren überzeugt, dass die einseitige Fixierung auf französische und italienische Vorbilder eigenen kulturellen Leistungen im Wege stehe. Germanist Heinzle schreibt: »Im Rückgriff auf das Altdeutsche – ein pseudo-historisches Konstrukt, das einen Kulturzusammenhang von den Germanen bis zu Albrecht Dürer und Hans Sachs imaginierte – glaubte man, der unverfälschten Art und Kunst der Deutschen habhaft werden zu können.«
    So hatte Goethe 1772 einen Aufsatz über das Straßburger Münster programmatisch »Von deutscher Baukunst« genannt. Dem herrschenden französischen Kunstideal und der romanischen Rationalität setzte er das deutsche Gefühl entgegen, »das tiefste Gefühl von Wahrheit und Schönheit der Verhältnisse, würkend aus starker, rauher, deutscher Seele«. Am Nibelungenlied war der junge Goethe wohl wenig interessiert. Doch zu Beginn des 19. Jahrhunderts rühmte der Dichterfürst das »köstliche Werk« und trug die Mär nach der Ausgabe von 1807 sogar auf Weimarer Gesellschaften vor.
    Allein die neue Vorstellung von einer

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