Die Germanin
Segestes die Nachricht von seiner bevorstehenden Ankunft.
Als Tiberius endlich eintraf, waren die Gaufürsten und Sippenältesten der Cherusker bereits seit einem halben Monat versammelt. Brun hätte mit seiner Befürchtung, die Vorräte könnten aufgezehrt sein, bevor das große Ereignis stattfand, beinahe recht behalten. Der endlose römische Heerwurm, der unten aus dem Wald hervorkroch, wurde vom Hügel, auf dem sich der Wehrhof befand, mit Erschrecken beobachtet. Erleichtert bemerkte man dann den Tross mit den Viehherden. Die Römer hatten sich bei den erneut unterworfenen Stämmen ausreichend mit Proviant versorgt.
Tiberius kam nicht zum Wehrhof herauf. Die Legionen bezogen das Lager, das die Vorhut errichtet hatte, und er blieb unten im Tal. Dorthin beschied er für den folgenden Tag Segestes, Segimer und die anderen Cheruskerfürsten.
Die Verträge waren vorbereitet.
In den vergangenen Jahren war es häufig zu blutigen Kämpfen zwischen Cheruskern und Römern gekommen. Die Statthalter Domitius und Vinitius, die nacheinander an den Rhenus geschickt worden waren, hatten auch im Land der »Hirschleute« immer wieder Brände austreten müssen. Doch die große Autorität des Tiberius und die Verstärkung der Legionen hatten den Widerstandswillen fast aller gebrochen. Auf dem Thing war von der Mehrzahl beschlossen worden, die alten Verträge zu erneuern.
Es wurde noch dies und jenes verhandelt und am Ende fand eine kurze Zeremonie statt.
Auf der Wiese vor dem Tor des römischen Lagers standen die germanischen Führer im Halbkreis, Tiberius hielt eine Ansprache und dann schleppten Legionäre Geschenke herbei: damaszierte Schwerter, goldene Armreife, Gürtel mit Silberbeschlägen, Schüsseln und Teller aus Edelmetall, Seidengewänder und Schmuck für die Frauen.
Die Römer ließen es sich etwas kosten, den größten und wehrhaftesten Stamm in der Mitte Germaniens zum Verbündeten für weitere Unternehmungen zu machen. Ihre Vorteile waren beträchtlich: Die Anmarschlinien wurden verkürzt, der Nachschub konnte sicher herangeführt werden, ein notwendig werdender Rückzug wurde nicht durch Feinde gestört. Weitere Kastelle konnten errichtet und durch Straßen verbunden werden. Und ausdrücklich war vereinbart worden, dass die Cherusker jede verdächtige Bewegung, die sie in ihrer Nachbarschaft wahrnehmen würden, dem nächsten römischen Stützpunkt meldeten.
Mit Wein gefüllte silberne Kelche wurden herbeigebracht und die Vertragspartner tranken auf die Gesundheit des Augustus. Tiberius und seine Offiziere taten dies maßvoll, während die Germanen, die es gewöhnt waren, ihre Trinkhörner in einem Zuge zu leeren, die gewaltigen Kelche aussoffen und dann lachend und triumphierend umdrehten, um zu zeigen, dass kein Tropfen vergeudet war. Natürlich bekamen sie auch diese kostbaren Gefäße geschenkt.
»Erlaube uns nun«, sagte Segestes, »dir zum Zeichen unserer Freundschaft eine besondere Gabe darzubringen.«
»Und um was handelt es sich?«, fragte Tiberius argwöhnisch, als machte er sich auf etwas Unangenehmes gefasst. Andernorts hatte man ihm »zum Zeichen der Freundschaft« ein Rudel junger Wölfe, einen Bären, der mit Honig bestrichene Hände leckte und einmal sogar einen Korb mit den blutigen, abgeschnittenen Köpfen von Römerfeinden geschenkt.
»Um eine Huldigung«, sagte Segestes, »mit Worten, die dir bekannt sein werden. Aber du hast sie bestimmt noch nicht aus dem Munde einer germanischen Jungfrau gehört.«
Er winkte Nelda, die ganz vorn in der Menge der Zuschauer stand. Ramis musste ihr einen Stoß geben, weil sie sich nicht von der Stelle rührte. Nelda stolperte vorwärts, sah sich um und strafte die Freundin mit einem zornigen Blick. Dann rückte sie ihren goldenen Stirnreif zurecht und zögernden Schrittes betrat sie den Halbkreis. Den langen Rock, den ihr die Mutter zum Fest genäht hatte, mit beiden Händen raffend, beinahe über einen Grasbuckel stürzend, näherte sie sich dem römischen Feldherrn.
»Meine Tochter Thusnelda«, stellte Segestes sie vor.
»Nun, dann wollen wir hören«, sagte Tiberius freundlich, »was sie uns vortragen wird.«
Nelda wagte kaum aufzublicken. Die hochgewachsene Gestalt des Feldherrn im Purpurmantel, die durch den Helm mit dem flammenden Schweif noch erhabener wirkte, beeindruckte sie stark. Verwirrend jedoch war die Anwesenheit der beiden jungen Männer, die neben ihm standen und grinsend die Köpfe zusammensteckten. Das mussten die beiden sein, denen
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