Die Germanin
von ihnen gewann sogar. Zum nächsten Wettkampf ließ Brun einen schweren Feldstein zur Mitte der Wiese schleppen. Er musste mit aller Kraft fortgeschleudert werden. Es siegte, wer den weitesten Wurf tat, dann aber den Stein mit drei Sprüngen, die Füße dabei geschlossen haltend, erreichte und aufhob. Das erforderte Augenmaß und eine kluge Einteilung der Kräfte. Die Zuschauer hatten ihr Vergnügen, weil viele beim Springen ausglitten oder zu kurz sprangen und vergebens den Stein, weit vorgebeugt mit rudernden Armen, erreichen wollten und dabei vornüber fielen. Einer zeigte sich allen anderen überlegen: Segithank, ein Neffe des Segestes, ein flinker Bursche mit blau blitzenden Augen und rötlichem Kraushaar, der sich schon als Läufer und Speerwerfer hervorgetan hatte.
Die kleine stupsnasige Ramis, die mit Nelda und anderen Mädchen am Rande des Kampfplatzes im Gras hockte, ließ kein Auge von ihm.
»Er ist der Beste«, schwärmte sie, »ich wusste, dass er gewinnt. Wer könnte sich noch mit ihm messen?«
»Warum gehst du nicht zu ihm und küsst ihn?«, spottete Nelda. »Alle wissen ja, dass du in ihn verliebt bist.«
»Du lügst, ich bin nicht in ihn verliebt!«, protestierte die Zwölfjährige.
Die jungen Männer versammelten sich zum Sprung über Pferde. Knechte mussten die kleinen, stämmigen, struppigen Tiere nebeneinander stellen und halten. Mit zweien wurde begonnen und die Mehrzahl der Wettkämpfer kam hinüber. Bei dreien schieden die meisten aus. Keiner der kleineren Männer aus Gallien und Italien konnte noch mithalten, nur wenige Germanen blieben übrig.
Erst als vier Pferderücken zu überspringen waren, traten zwei Wettkämpfer an, die sich bisher nicht beteiligt hatten, die der Festordner Brun jedoch ihres Ranges und Ruhmes wegen nicht zurückweisen konnte.
Unter den Ehrengästen erhob sich Drusus. Beifall von den Bänken begleitete ihn. Er war noch nicht bis zur Mitte gelangt, als aus den Reihen der Offiziere ein anderer hervortrat.
»Arminius!«, schrie jemand.
»Arminius!«, antwortete es von verschiedenen Seiten.
Der glatzköpfige Segimer sprang von der Bank auf, die er mit anderen Gaufürsten teilte, und schrie: »Mein Sohn! Das ist mein Sohn! Er wird es euch zeigen, ihr lahmen Böcke!«
»Das ist Arminius?«, fragte Nelda.
Zum ersten Mal sah sie den Mann, von dem in letzter Zeit so oft die Rede war. An dem Tag vor einem halben Monat, als er seinen Vater zum Wehrhof des Segestes begleitet hatte, war sie ihm nicht mehr begegnet, weil er nach einem kurzen Aufenthalt ins Tal zurückgekehrt war. Der Auftrag, mit seinen Leuten dort das Lager zu errichten und die Ankunft des Feldherrn und der Legionen vorzubereiten, hatte ihn dort die ganze Zeit festgehalten. Nur sein jüngerer Bruder Flavus, ein weißblonder, schlaksiger Bursche, war einmal mit irgendeinem Anliegen zum Wehrhof gekommen. Er hatte Nelda nicht besonders gefallen. Einen Becher nach dem anderen leerend, hatte er mit schwankender Stimme behauptet, Heldentaten vollbracht und in einem fernen Land viele Menschen erschlagen zu haben.
Der Mann, der jetzt zur Mitte des Kampfplatzes ging, ähnelte weder seinem Vater noch seinem Bruder. Er war nicht so groß, wie sie ihn sich vorgestellt hatte, doch seine Schultern waren sehr breit, die Arme kräftig. Das dichte, störrische blonde Haar war nach Art der Römer kurz geschnitten. Sein sonnenverbranntes Gesicht mit den schimmernden Zähnen strahlte Heiterkeit aus, er schien ein unbeschwerter, fröhlicher Bursche zu sein.
Ein Knecht führte das vierte Pferd heran und stellte es an das Ende der Reihe. Drusus verlangte eine Bank für den Absprang. Das entsprach als Erleichterung nicht den Regeln, aber natürlich wurde die Bank für den Sohn des Feldherrn gebracht. Und es gelang ihm tatsächlich, seinem schweren Körper den nötigen Schwung zu geben und, das letzte Pferd mit dem Rücken streifend, das vierfache Hindernis zu nehmen. Nur noch zwei Wettkämpfer flogen nach einem weiten Anlauf hinüber: Segithank und Arminius. Alle anderen schieden aus.
»Lassen wir ein fünftes Pferd kommen?«, fragte Arminius, wobei er den römischen Aristokraten heiter und herausfordernd anblickte.
»Ich bin dabei!«, rief Segithank.
»Wo bleibt das fünfte Pferd?«, schrie Drusus.
Brun eilte zum Wiesenrand, wo die Pferde grasten. Er führte eine schmale, rotbraune junge Stute herbei. Als Fünfte ließ sie sich willig in die Reihe stellen, zupfte Gras und musste nicht einmal gehalten werden.
»Aber
Weitere Kostenlose Bücher