Die Germanin
später.«
»Vater! Kennst du den Mann tatsächlich? Vielleicht hat er irgendetwas vor… etwas Schlimmes…«
»Nein, nein. Ich kenne ihn, sei unbesorgt. Sei ganz ruhig, mein Kind, und schlaf.«
Er küsste sie und schob sie ins Zelt. Sie lugte noch einmal hinaus und sah, wie ihr Vater auf den Mann zuging, wie die beiden einen Händedruck tauschten und wie sie zwischen Bäumen und Zelten verschwanden.
Noch einmal, zweimal formten ihre Lippen tonlos den unbekannten Namen.
»Boiacalus. Boiacalus…«
12
Nelda verbrachte eine fast schlaflose Nacht. Regen trommelte auf das Zeltdach und Windstöße schüttelten die Pfosten. Neben ihr schnarchte ihr Onkel Brun. Der andere Zeitgenosse, Segithank, war ebenfalls wach. Er kroch an ihre Seite und fragte sie, wo ihr Vater sei. Sie wisse es nicht, sagte sie. Aber sie sei doch mit ihm spät am Abend gekommen, beharrte er, im Zelt seien ihre Stimmen vernehmbar gewesen, dann aber habe sie ihren Schlafplatz allein aufgesucht. Der Vater sei noch einmal fortgegangen, erwiderte sie gähnend, und es sei nicht seine Gewohnheit, ihr zu erklären, was er vorhabe. Und nun solle er still sein und sie schlafen lassen.
Etwas später stand Segithank auf und sie hörte es rascheln und schurren, während er sich ankleidete und eine Waffe an den Gürtel steckte. Dann trat er vor das Zelt und seine Schritte entfernten sich. Nelda fragte sich, was er wohl mitten in der Nacht, bei strömendem Regen vorhatte. Die römischen Lagertore waren geschlossen und es war Germanen nicht gestattet, im Kastrum Waffen zu tragen. Er konnte sich nur außerhalb der Wälle bewegen. Fast alle Cherusker und die Angehörigen anderer germanischer Stämme, die von weither gekommen waren, hatten hier in der näheren und weiteren Umgebung ihre Zelte und Hütten errichtet. Es waren ungewöhnlich viele, wie ihr Vater immer wieder verwundert und argwöhnisch festgestellt hatte, und es waren in den letzten Tagen noch größere Gruppen angekommen.
Graues Dämmerlicht sickerte durch die Ritzen des Zeltes und der Regen ließ nicht nach. Endlich wollte Nelda der Schlaf überwältigen. Doch plötzlich trat Segestes ins Zelt, warf seine durchnässten Kleider ab und streckte sich schnaufend neben ihr auf seinem Lager aus. Sein Atem ging stoßweise und wurde auch nach einer Weile nicht ruhiger. Blinzelnd stellte sie fest, dass seine Augen weit offen zur Zeltdecke starrten. Seine Lippen bewegten sich und schienen lautlos Worte zu formen.
»Vater!«, flüsterte sie, um Brun nicht zu wecken. »Wo warst du? Warum kannst du nicht schlafen?«
Er wandte ihr ruckartig das Gesicht zu.
»Du bist wach? Dann sag mir zuerst, wo Segithank ist.«
»Fortgegangen. Mitten in der Nacht.«
»Der also wohl auch«, murmelte Segestes gepresst.
»Was heißt das, Vater?«
»Ich hätte es ahnen müssen. Anzeichen dafür gab es reichlich. Ich habe sie nicht ernst genug genommen.«
»Was ist geschehen?«
»Noch nichts, noch nichts. Doch es wird etwas vorbereitet, etwas Schreckliches.«
»Wer war der Mann, mit dem du fortgingst?«
»Wer das war? Einer, der noch Ehre im Leib hat. Der im letzten Augenblick umkehrt, der nicht mitmachen will bei der Schurkerei.«
»Aber was meinst du damit? Was wird vorbereitet?«
»Wenn ich es dir sage, wirst du es nicht glauben. Und vielleicht sollte ich es auch nicht sagen. Verschworen haben sie sich! Aber was sie vorhaben, muss verhindert werden. Ich werde nicht zögern und meine Pflicht tun.«
»Wer hat sich verschworen? Und gegen wen?«
Sie stützte sich auf einen Ellbogen, starrte ihn an und suchte, von einer plötzlichen Ahnung erfüllt, in dem fahlen Morgenlicht aus seinen gramvoll verzerrten Zügen eine Antwort zu lesen.
Er schwieg.
»Kenne ich sie… oder ihn?«, drängte sie.
»Du kennst ihn«, murmelte er nach längerem Zögern.
»Wer ist es? Wer?«
Er seufzte tief und schien nachzudenken. Als sie sich aber nicht von ihm abwandte und hartnäckig wartete, sagte er schließlich:
»Du sollst es wissen. Es ist auch gut so. Ja, es ist gut so, es wird dir die Augen öffnen. Ich bemerkte damals sehr wohl, wie viel Leiden es dir verursachte, dass ich Segimers Brautwerbung abwies. Wie schwer es dir fiel, dich meiner besseren Einsicht zu beugen. Den Göttern sei Dank, dass ich sie hatte. Nicht auszudenken, dass dieser Mann jetzt mein Schwiegersohn wäre!«
»Arminius?«, flüsterte sie. »Du sprichst von Arminius?«
»Ja… Ich spreche von diesem Treulosen, diesem Ehrvergessenen. Diesem
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