Die Germanin
sein. Wie viele solcher Hammerschläge hatten das Eisen geschmiedet?
Im trüben Morgenlicht starrte sie auf den Rücken des Vaters. Kein regelmäßiger Atem bewegte ihn, auch Segestes schlief nicht. Noch heute, dachte sie, wird er zum Statthalter gehen. Und der wird ihm glauben. Und handeln. Mit seinen drei Legionen, seinen fast zwanzigtausend Mann, mit der unbesiegbaren römischen Streitmacht. Verschwörung und Aufruhr – das heißt Tod! Sie werden ihn töten, meinen Liebsten, für einen wie ihn wird es keine Gnade geben. Sie werden ihn hinrichten! Werden ihn umbringen!
Nelda fuhr auf und stieß einen Schrei aus.
Sie fasste sich sofort wieder und beruhigte die drei erschrockenen Männer. Sie hätte geträumt, sagte sie.
Kurz darauf wusste sie, was sie zu tun hatte.
Als sie sich dessen sicher war, schlief sie sogar noch ein wenig, so lange, bis sie der morgendliche Lärm im Lager weckte.
Der Himmel war wolkenverhangen, die Luft kühl und feucht und immer wieder regnete es. Bald hieß es, wegen des schlechten Wetters werde das Sommerlager ein paar Tage früher als vorgesehen abgebrochen. Segestes ging fort, kam jedoch bald zurück. Man hatte ihn im Prätorium nicht vorgelassen, da gerade ein Eilbote eingetroffen war und der Statthalter sich mit seinem Stab beriet. Man hatte ihm bestätigt, dass der Abmarsch unmittelbar bevorstand. Im Lager schnürten die Legionäre schon ihr Gepäck und die Trosswagen wurden beladen. Über die Vorgänge in der Nacht verlor Segestes kein Wort mehr, und nachdem er einen Becher mit Milch und etwas Gerstenbrei zu sich genommen hatte, verschwand er abermals.
Er hatte Nelda befohlen, auf Gaius Sempronius zu warten, der sich im Laufe des Tages um sie kümmern würde. Streng hatte er diesen Befehl beim Fortgehen wiederholt. Sie begriff, was das hieß: Ihr Vater bereute, in der Nacht zu freimütig mit ihr gesprochen zu haben. Jetzt fürchtete er, sie würde leichtfertig etwas ausplaudern, das sich verbreiten und denen zu Ohren kommen könnte, die von seinem Wissen noch nichts erfahren sollten.
Die Gesellschaft ihres römischen Bräutigams sollte sie davor bewahren. Ihm konnte sie, wenn sie wollte, alles erzählen, umso schneller würde es an die richtige Adresse gelangen.
13
Nelda jedoch hatte ihren eigenen Plan.
Kaum war Segestes fort, machte auch sie sich auf den Weg. Regen klatschte ihr ins Gesicht, doch so schnell ihre Beine sie trugen, folgte sie dem, der sie führte. Zunächst durcheilten sie noch die Plätze mit den Zelten der germanischen Besucher und den Buden der Händler in der Nähe des Militärlagers. Dann überquerten sie feuchte Wiesen. Schließlich drangen sie in einen allmählich dichter werdenden Wald ein, übersprangen vom Sturm gefällte Stämme, durchwateten einen reißenden Wildbach. Immer wieder verschwand der Rotschopf ihres Begleiters im Dickicht, und sie musste sich, um nicht zurückzubleiben, durch nasses Blättergewirr kämpfen, während ihr Zweige ins Gesicht schlugen. Vor einer Erdmulde glitt sie aus und versank bis zu den Knien im Moder.
»Warte, Seggo!«
»Wo steckst du?«
»Hilf mir heraus! Ist es noch weit?«
»Ein paar hundert Schritte. Ein Hohlweg, dann erreichen wir die Schlucht.«
»Aber ich muss mich vorher noch waschen.«
»Keine Sorge, er wird dich nicht für eine Wildsau halten – trotz deiner dreckigen Beine und deiner geschwollenen Nase.«
»Geschwollene Nase, sagst du? Oh, Götter! Aber das ist jetzt nicht wichtig. Weiter, Seggo, weiter!«
Neldas Führer war Segithank. Schon in der Nacht, als sie ihren Entschluss gefasst hatte, war ihr die Eingebung gekommen, dass er ihr helfen könnte. Das vorübergehende Verschwinden des Vetters konnte nur einen Grund haben: Misstrauen gegen ihren Vater, dem er nachspionierte. Sie sprach ihn an, machte eine Andeutung, dass sie alles verstünde und auf seiner Seite sei – und behielt recht. Segithank hatte herausbekommen wollen, was Segestes in tiefer Nacht trieb und mit wem er sich traf. Bei Regen und Wind hatte er unter einem Blätterdach ausgeharrt, bis Segestes zurückkehrte, aber aus der Richtung, aus der er kam, nichts Verdächtiges schließen können. Begierig nahm er deshalb Neldas vertrauliche Mitteilung auf, sie habe etwas erfahren, was Arminius unbedingt wissen müsse. Er erbot sich, die Nachricht sogleich zu überbringen, doch sie bestand darauf, es selbst zu tun. So nützlich er ihr im Augenblick sein konnte, war ihr der Vetter, der wieder heimlich die Seite gewechselt
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