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Die Germanin

Titel: Die Germanin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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künftigen Schwiegervaters. Sie weigerte sich auch, mit ihnen an einem Festessen teilzunehmen, lief ihnen davon, holte Decken, in die sich die halb nackte und hilflose Bauernfamilie einhüllen konnte, und Tücher, mit denen die Frau und die Mädchen ihre geschorenen Köpfe bedeckten. Dann brachte sie die vier zu den Zelten vor dem Lagertor und sorgte dafür, dass sie unterkamen. Sie versprach ihnen auch nach der Heimkehr ein Dach und Versorgung. Da ihre Mutter die Bäuerin als geschickt und kunstreich am Webstuhl schätzte, konnten sie zuversichtlich sein. Frau Male würde sich notfalls gegen den Willen ihres Ehemanns durchsetzen.
    Am Abend saß Nelda wieder am Fluss. Das Wetter passte zu ihrer düsteren Stimmung. Dem langen, heißen Sommer folgte innerhalb weniger Stunden ganz ohne Übergang ein stürmischer Herbst. Scharfer Wind erhob sich und jagte dunkle, zerrissene Wolken über das breite Gewässer. Nelda sah zu ihnen hinauf und erschrak. Zum ersten Mal in ihrem Leben schien es ihr, als erblickte sie Wodan, den Göttervater, mit eigenen Augen. Die bizarren schwarzen Wolkengebilde – waren das nicht der breite Hut, der wilde Bart, der wehende Mantel? War das, was sich darunter bewegte, nicht Sleipnir, das Pferd mit acht Beinen? Und folgten dort nicht Geri und Freki, die Wölfe, seine treuen Begleiter? Flatterten über und unter ihm nicht Hugin und Munin, seine Raben? Sauste Wodan, der Gott des Krieges, zornig und drohend über das Römerlager hinweg, in dem an diesem Tag so viel Unrecht an seinem Volk verübt worden war?
    Es war schon sehr spät und fast finster, als Segestes die Böschung herabkam. Er knurrte Vorwürfe, weil er sich Sorgen gemacht hatte. Dies sei schließlich ein Soldatenlager und was hätte ihr in der Dunkelheit nicht alles passieren können. Nelda schwieg abweisend und hüllte sich fester in ihre Decke. Er setzte sich neben sie ins Gras und begann ein versöhnliches Gespräch. Er wisse ja, was sie so traurig stimme. Eine beklagenswerte Geschichte, das Schicksal der Familie des Wigbrand, natürlich durch ihn selbst verschuldet, allerdings auch durch den verfluchten Negotiator, der ihn zu waghalsigen Geschäften verführt hatte. Nelda habe ja vollkommen recht gehabt, fuhr er fort, eine edle Tat sei es gewesen, als Fürsprech aufzutreten für die Frau und die Kinder, und er werde seinerseits alles tun, damit die Familie nicht zugrunde gehe. Sie murmelte kühl ein paar Dankesworte, und er versicherte ihr, dass auch Gaius Sempronius jetzt so dächte und sogar der Senator, nachdem er alles über den Fall erfahren habe. Sie möge nicht abfällig über die Römer denken, sondern gegen solche Ärgernisse aufrechnen, wie viel Gutes man ihnen verdanke. Er fing auch gleich wieder von seinem Lieblingsprojekt an, der Wasserleitung, die er im Frühjahr mit dem neuen Baumeister von einem Nachbarhügel zum Wehrhof führen wolle. Dann werde man, schwärmte er, ein eigenes römisches Bad haben, täglich warmes und kaltes Wasser, auch im Winter.
    Sie kehrten zu den Zelten zurück. Als Nelda im Dunkeln stolperte, stützte er sie und sie ließ ihre Hand in der seinen. Sie liebte ihn und wusste, dass er im Grunde der zuverlässigste, beste Vater war, den sie sich wünschen konnte. Zufrieden war sie, weil auch er sich der armen Frau und ihrer Kinder annehmen wollte. Was die Römer betraf, so war er ihnen nun einmal bedingungslos zugetan und nichts konnte seinen Glauben erschüttern, dass mit ihnen für die Germanen ein goldenes Zeitalter anbrach. Vielleicht hatte er ja recht.
    Sie wollten gerade in ihrem Zelt verschwinden, als hinter einem Baum eine Gestalt hervortrat und Segestes leise beim Namen rief. Der in einen Mantel gehüllte Mann, dessen Züge im Dunkeln nicht zu erkennen waren, weil eine tief in die Stirn gezogene Kappe und ein dichter Bart sie verdeckten, wiederholte den Namen, trat aber nicht näher. Segestes zögerte ebenfalls. Er hatte Feinde bei den Stammesgenossen und man konnte nie wissen…
    »Wer bist du? Was willst du?«
    »Still! Lass uns beiseite gehen. Du kennst mich. Ich habe dringend mit dir zu reden«, war die fast geflüsterte Antwort.
    »Sage erst deinen Namen.«
    »Später.«
    »Nein, jetzt.«
    »Ich komme als Freund, das muss genügen.«
    »Sprich etwas lauter, damit ich dich an deiner Stimme erkenne.«
    »Hab Vertrauen und komm.«
    »Bist du Boiacalus?«
    »So schweig doch!«, sagte der Mann plötzlich laut.
    »Ja, du bist es«, murmelte Segestes. »Geh schlafen, Nelda, ich komme

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