Die Germanin
sich bei den Negotiatoren verschuldet, die nun erbarmungslos ganze Familien ins Sklavenjoch spannten. Schon nach der Eroberung Galliens hatten sie römische Herren mit Besitztümern versorgt, die ihnen märchenhafte Gewinne eintrugen. Lucius Sempronius, Neldas künftiger Schwiegervater, besaß nicht nur Latifundien in Italien und Sizilien, sondern auch Güter in der Gegend von Lugdunum, dazu zwei Bergwerke in der Gallia Belgica, und er zeigte sich sehr interessiert, sein Geld möglichst günstig in den Cheruskergauen anzulegen. Nelda fand bald heraus, dass vor allem dies der Grund war, weshalb er die weite Reise hierher unternommen hatte. Der muntere alte Herr machte auch kein Hehl daraus, was er von seinem Sohn und dem Vater seiner künftigen Schwiegertochter erwartete: dass sie – der eine mit Hilfe des römischen Rechts, der andere mit der Autorität des Stammesführers – ein möglichst großes Gebiet von freien Bauern »reinigten«, wie er sich ausdrückte. Er drängte zur Eile, denn viele waren ihm schon zuvorgekommen und hatten durch Vermittlung der Negotiatoren große Güter in bester Lage erworben, waldreich, am Visurgis und anderen schiffbaren Flüssen gelegen.
Segestes fühlte sich bei solchen Gesprächen unbehaglich und auch dem jüngeren Sempronius war es peinlich, wie unverblümt und rücksichtslos sein Vater die Macht und das Recht zur Bereicherung missbrauchen wollte. Beiden entging nicht, dass Nelda solchen Reden stumm und mit verschlossener Miene lauschte. Wenn der Senator nicht anwesend war, gaben sie ihr beschwichtigende Erklärungen, sprachen von Übertreibungen. Aber Nelda fragte: »Ist er nicht einer der besten Freunde des Statthalters?«
Einmal war sie auch auf dem als Forum bezeichneten Platz in der Mitte des Lagers, als Publius Quinctilius Varus dort zu Gericht saß. Der Statthalter, fünfundfünfzig Jahre alt, hager, grau, mit spitzer Nase und spitzem Kinn, war als Richter in seinem Element und verhandelte jeden Fall, den man ihm antrug, mit Eifer und Ernst, auch wenn es nur um einen erschlagenen Hund oder eine gestohlene Axt ging. Er wollte die germanischen Bauern, die in ihm den fremden Machthaber sahen, für sich gewinnen und ihnen zeigen, dass sie bei ihm auch mit ihren kleinen Sorgen auf Verständnis und Gerechtigkeit hoffen durften. Seine Urteile fielen gewöhnlich mild aus und er freute sich, wenn das Podium, auf dem er saß, umdrängt war, wenn die Germanen von sehr weit her kamen, um für ihre Klage seine Entscheidung zu suchen. Doch an seiner Seite standen Liktoren, und so demonstrierte er ihnen mit Ruten und Beil die Macht des Imperiums. Er konnte auch unbarmherzige Härte zeigen.
Ein graubärtiger Cherusker, zerlumpt, mit Spuren von Misshandlungen im Gesicht und am Körper, wurde als Angeklagter vorgeführt. Nelda erschrak, als sie in ihm einen Mann erkannte, der noch vor kurzem als wohlhabender Bauer in einem Weiler in der Nähe des Wehrhofes gelebt hatte. Sein Name war Wigbrand. Es war derselbe, der einst so kühn gewesen war, ihrem Vater die Heirat mit seinem älteren Sohn vorzuschlagen, worauf er einen Faustschlag als Antwort erhalten hatte. Nelda wusste bereits, dass er in große Bedrängnis geraten war. Eine Viehseuche hatte seine stattliche Herde dahingerafft, eine Feuersbrunst seine Ernte vernichtet. Es gab Gerüchte von dunklen Machenschaften, von Gift und Brandstiftung wurde geflüstert. Der Negotiator, ein feister, kupfergesichtiger Gallier, klagte nun den beträchtlichen Geldbetrag ein, den er dem Bauern zu hohem Zins geliehen hatte – sowie die zusätzlichen Kosten, die ihm durch die Verfolgung des flüchtigen Schuldners durch Wälder und Sümpfe entstanden waren. Irgendwo hatten seine Leute die völlig erschöpfte Familie aufgegriffen. Auch die Frau, zwei jugendliche Töchter und der jüngere Sohn des Wigbrand wurden herbeigezerrt, der kleine Hadu, nunmehr zehn Jahre alt, der vor ein paar Jahren Neldas Bote in der wichtigsten Angelegenheit ihres Lebens gewesen war. Der Statthalter hörte die Klage und der Bauer wurde der Form halber durch einen Mann aus seinem Gefolge verteidigt. Doch ließ er nichts gelten, was, halbherzig vorgebracht, Wigbrands Schuld mildern konnte. Schwer wogen sein Leichtsinn, seine Großmannssucht, vor allem aber der betrügerische Versuch, durch Flucht den Negotiator um sein Geld und seinen Gewinn zu bringen. Selbst das Opfer der Familie, der Tod des älteren Sohnes auf einem römischen Schlachtfeld, konnte nichts ändern. Alle fünf
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