Die Germanin
war.
Sie stammten aus dem westlichen Gallien, hatten der XIX. Legion angehört. In der Frühe waren sie plötzlich auf dem Marsch überfallen worden. Ein unsichtbarer Feind, im Gebüsch verborgen, hatte auf sie gewartet und sie aus dieser sicheren Deckung, als sie auf dem schlammigen, schmalen Gebirgspfad, zu dem sich der Weg verengt hatte, in loser Reihe herankamen, mit Lanzenwürfen empfangen. Gleich waren mehrere tot hingestürzt. Dann waren die Angreifer, langhaarige, riesenhafte germanische Krieger, aus dem Gebüsch hervorgesprungen und hatten mit Framen, Keulen und Äxten so wild auf die Überraschten, Verwirrten eingestochen und eingeschlagen, dass diese kaum dazu gekommen waren, ihre Schwerter zu ziehen, schon gar nicht aber, sich in Kampfordnung aufzustellen. So seien sie, durcheinanderirrend, zusammengehauen worden und die meisten von ihnen seien als blutiger Haufen, allen Nachrückenden zum Hindernis, liegen geblieben. Was denen, die vor ihnen und hinter ihnen kamen, geschehen sein mochte, konnten die Männer aber nicht sagen. Mit viel Glück seien sie, jeder einzeln, dem Gemetzel entronnen. In einer halb verfallenen Hütte hätten sie sich zusammengefunden und versteckt, immer gewärtig, dort von vorüberziehenden feindlichen Haufen entdeckt zu werden. Das Pferd sei ihnen zugelaufen, sein Fell weise Blutflecke, aber keine Verletzungen auf. Am Zaumzeug sehe man, dass es zu einer römischen Ale gehörte und wohl seinen Reiter verloren hatte.
Die Männer mussten versorgt werden und Nelda wollte sie in der Wohnhalle unterbringen. Aber Frau Male, Brun und der lahme Segimer waren dagegen und wollten erst Segestes’ Entscheidung abwarten. Man führte die Verletzten deshalb auf der anderen Seite des Hauses, dem Pferdestall, in eine Ecke, wo frisches Heu aufgehäuft war. Die Frau des Wigbrand, die sich auf Kräuter und Salben verstand, übernahm es, ihnen die Wunden zu reinigen und neue Verbände anzulegen. Nelda brachte ihnen Gerstenbrei und stellte das Pferd, eine Stute, zu ihrem eigenen.
Frau Male nahm Segestes bei seiner Rückkehr am Abend beiseite und unterrichtete ihn von dem Vorgefallenen. Seine erste Sorge galt den römischen Gästen, die die Verwundeten nicht zu Gesicht bekommen sollten. Man musste sie vom Hause fernhalten, was auch nicht schwer war. Der alte Sempronius übernachtete im Wagen des Negotiators, der junge mit seinen Leuten in der Hütte und die Wachmannschaft in ihren Zelten in der Nähe des Tors. Sie alle waren mit draußen gewesen, wussten also nicht, was geschehen war. Sie sollten es auch nicht wissen, solange Hoffnung bestand, es könnte sich um einen vereinzelten Angriff gehandelt haben. Dass der Schreck darüber den teuren Gast vertrieb, bevor alles mit ihm geregelt war, wollte Segestes vermeiden. Nachdem er jedoch mit den Männern gesprochen hatte, wusste er, dass eine solche Hoffnung trügerisch war.
»Es geht los«, sagte er zu Brun. »Und vielleicht ist es schon zu Ende. Was tun wir jetzt?«
Brun war nicht gewohnt, dass sein mächtiger Schwager von ihm einen Rat begehrte. Er wusste auch keinen.
15
Im Schutz der Dunkelheit schlich Nelda zu Gaius Sempronius.
Sie fand ihn noch wach, er saß beim Schein einer Öllampe über seinen Kodizes. Seine beiden Begleiter schliefen. Nelda gab ihm ein Zeichen, zu ihr herauszukommen.
»Ihr müsst fort«, sagte sie. »Noch heute Nacht.«
»Was ist geschehen?«
»Komm mit.«
Sie führte ihn über den Hof an die Rückseite des Wohnhauses. Durch eine schadhafte Stelle im Lehmbewurf der Flechtwand konnten sie ins Innere des Stallbereiches blicken, wo ein Knecht mit einem glimmenden Kienspan der Frau des Wigbrand notdürftig leuchtete, während sie die Wunden eines der fünf Männer mit Salbe bestrich.
»Siehst du die Männer auf dem Heulager?«, flüsterte Nelda.
»Was sind das für Leute?«
»Heute Morgen gehörten sie noch zum römischen Heer, das gerade vernichtet wird.«
»Was sagst du?«, fragte er erschrocken.
»Du hast mich richtig verstanden. Euer Statthalter Varus wurde in eine Falle gelockt. In ein Waldgebirge, wo es für ihn und seine Legionen kein Entrinnen gibt. Die Cherusker und alle Stämme ringsum erheben sich. Schon jetzt gibt es keine Provinz Germanien mehr. Ihr müsst fliehen, Gaius!«
»Heißt das, die Männer dort…«
»… sind Verwundete, die sich durch Wald und Sümpfe bis hierher schleppten.«
»Aber, Nelda, das kann ich nicht glauben!«, sagte der junge Römer und wandte sich verwirrt ab. »Ein
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