Die Germanin
›Legat!‹ brüllte ich in den Lärm hinein. ›Hör meinen Rat! Lass uns alle verhaften, alle Stammesführer – auch mich! Alle, die hier anwesend sind. Und dann… und dann verhöre uns! Jeden von uns nimm dir einzeln vor! Wenn sie allein sind, werden sie bald den Mut verlieren! Sie werden alles gestehen, werden schnell zusammenbrechen! Verhafte uns alle! Verhöre uns! So wirst du die Wahrheit herausbringen!‹ Weiter kam ich nicht bei dem Geheul. Und Varus gebot schließlich Ruhe und sagte: ›Was fällt dir ein, Segestes, was verlangst du von mir? Alle verhaften – meine geladenen Gäste? So hinterhältig sollte ich handeln? Kennst du mich wirklich so schlecht? Glaubst du ernsthaft, man könnte mich täuschen? Einen wie mich? Ich habe in Judäa eine Verschwörung aufgedeckt und einen Aufstand niedergeschlagen – und sollte nicht merken, dass ich hier von lauter Verrätern umgeben bin? Sollte ich alle die guten Freunde hier so schrecklich verkennen? So etwas sollte mir passieren?‹ So sprach er, das waren seine Worte. Was konnte ich darauf noch erwidern? Plötzlich stand ich als Verleumder da. Alle starrten mich an. Er sagte dann noch, den unbedeutenden Aufruhr werde er niederschlagen – persönlich. Das sei gut für die Truppe, nach dem langen Müßiggang im Sommerlager. Die müsste mal wieder etwas zu tun bekommen… eine willkommene, nützliche Übung. Dann ließ er für alle Geschenke bringen – auch für die Verschwörer. Und morgen früh bricht er auf. Den kürzesten Weg will er nehmen, durch das Waldgebirge hinter der Teutoburg. Gibt es da überhaupt einen Weg? Wundern wird er sich… wundern…«
Segestes schwieg und auf Fragen, die man ihm zurief, antwortete er nicht mehr. Er starrte noch eine Weile finster vor sich hin und stand dann schwerfällig auf, um einige Anordnungen für den nächsten Tag zu treffen, den auch er für die Rückreise bestimmt hatte. Nelda erhielt den Auftrag, die Knechte zu beaufsichtigen, die die Kisten und Körbe mit den erhandelten Waren auf die mitgeführten Karren laden und sicher verstauen sollten. Während er mit ihr sprach, beobachtete sie ihn ängstlich, immer gewärtig, gleich gefragt zu werden, wie sie den Tag verbracht hatte – ohne Gaius Sempronius. Aber er fragte nichts, sondern war mürrisch und in sich gekehrt. Die Schwellung in ihrem Gesicht fiel ihm in der Dunkelheit nicht auf.
Später, als sie nebeneinander im Zelt lagen, brummte er, dass er wegen der Reise mit dem Senator gesprochen habe. Dieser könne sich allerdings nicht entscheiden, ob er auf dem kürzesten Weg, der Heerstraße entlang der Lupia, zum Rhenus zurückkehren oder die Einladung zu einem Aufenthalt auf dem Wehrhof annehmen solle. Er wolle sich dazu erst noch mit seinem Sohn und seinem Negotiator beraten. Nelda seufzte erleichtert, weil sie nun sicher sein konnte, dass ihr Vater im Laufe des Tages nicht mit Gaius zusammengetroffen war. Segestes missdeutete ihren Seufzer und fügte gallig hinzu, das alles sei sehr unangenehm, weil der Alte aus Rom vorzugsweise auf günstigen Landerwerb aus sei, von der Heirat aber immer seltener rede. Doch wenn man ihn erst einmal auf dem Wehrhof habe, was Gaius erreichen sollte, dann werde er um einen Verlobungsvertrag nicht herumkommen. Dann werde der Bräutigam ihr einen goldenen Ring an den Finger stecken und man werde mit allem Drum und Dran nach römischer Sitte die Sponsalien feiern. Die Hochzeit werde dann – vielleicht schon im Frühjahr – in Rom stattfinden.
»Bei Donars Hammer!«, brummte Segestes, »hoffentlich werden wir dabei nicht gestört. Bitten wir die Götter, dass sie die Opfer dieser Irrwitzigen nicht annehmen, die alles verderben wollen. Und dass dem Varus doch noch rechtzeitig die Augen aufgehen. Immerhin hat er drei Legionen.«
Der nächste Tag – es war nun fast Mitte September – zog wieder mit Regen und kaltem Wind herauf. Erst um die dritte Stunde drangen ein paar Sonnenstrahlen durch die grauen Wolken. Die XVII. Legion, die den Anfang machte, zog mit glänzenden Waffen und Feldzeichen, mit bunten Standarten, unter Flötenspiel, Trompetengeschmetter und Getrommel viele Gaffer an, die sich dann aber, von neuen Regengüssen gepeitscht, schnell verliefen. Etwas später brach auch Segestes mit seiner Gefolgschaft auf. Lucius Sempronius hatte am Morgen doch noch entschieden, sich anzuschließen. Sein Negotiator reiste mit, in dessen bequemem Reisewagen auch der Senator Platz fand. Von Varus war ihm ein aus rätischen
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