Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Germanin

Titel: Die Germanin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
Vom Netzwerk:
hinabzusteigen. Sie wusste, dass man von hier über eine weitere Treppe in jenen Stollen gelangte, der nach etwa hundert Schritten einen durch Buschwerk getarnten Ausgang ins Freie hatte. Sie wurde enttäuscht. Sie schreckte einen schlafenden Wächter auf, der an der verriegelten Tür vor der zweiten Treppe hockte. Um herauszufinden, ob er sich vielleicht mit ein paar Münzen bestechen ließ, knüpfte sie ein Gespräch an. Dabei erfuhr sie, dass der Ausgang am Ende des Stollens durch einen Quader verschlossen war, der nur mit großer Manneskraft hochgestemmt werden konnte. Sie gab ihm trotzdem einen Sesterz, damit er ihren Besuch verschwieg.
    Später führte sie ihre Stute im Hof herum. Dabei sah sie, wie die Wächter hin und wieder das Tor für hereinkommende Bauern oder hinausgehende Knechte öffneten. Der Gedanke blitzte auf, sie könnte einen solchen Augenblick nutzen, sich auf das Pferd schwingen und hinaus galoppieren. Doch sie verwarf ihn gleich wieder. Wie könnte sie, die Schwangere, schnell und ohne Hilfe auf das Pferd steigen? Und sollte sie das Ungeborene in ihrem Leib auf dem Pferderücken so grausam schütteln, dass es das Schicksal seiner Geschwister erlitt?
    Immer wieder blickte sie unruhig zum Himmel hinauf. Die Sonne sah nur von Zeit zu Zeit hinter den Wolken hervor und verschwand gleich wieder. Allmählich näherte sie sich dem höchsten Stand. Wieder bemerkte Nelda, wie die Wächter am Tor die Riegel zurückstießen. Mägde schoben einen hoch mit Holz beladenen Karren herein. Einer der Wächter fragte sie, ob sie noch weitere Fuhren holen würden. Sie bejahten und luden das zu Pfählen und Klötzen zerkleinerte Holz sogleich in einer Ecke des Hofes ab. Nelda beobachtete sie dabei, ließ sie nicht aus den Augen. Kaum war der letzte Klotz abgeworfen, packte eine die Deichsel und alle fünf schoben den Karren auf das offene Tor zu.
    Mit drei Schritten war Nelda bei der Magd, die rechts hinten ging. Es war eine schlanke Blonde, die ihr ähnlich sah, und ihres Fleißes wegen Bini, die Biene, genannt wurde. Nelda riss sich ihr wollenes, mit bunten Fransen versehenes Umschlagtuch von den Schultern.
    »Bini«, flüsterte sie, »nimm dieses Tuch und gib mir deines!«
    »Aber Herrin…«
    »Frag nicht! Gib es mir! Ich schenke dir dieses! Schnell!«
    Die Magd löste misstrauisch den Knoten an ihrem Hals.
    »Man wird glauben, ich hätt’s gestohlen…«
    »Mach schon, bevor es bemerkt wird. Und jetzt lass mich an deine Stelle treten… und führ das Pferd in den Stall!«
    Sie warf sich den oftmals geflickten Umhang der Magd über die Schultern, strich ihre Haare ins Gesicht, machte den Rücken krumm. Die anderen Mägde bemerkten nichts, weil sie, den Karren vorwärts stoßend, stumpf vor sich hin starrten. Die Wächter unterhielten sich und achteten kaum auf das Gefährt, das das Tor verließ und über die Bohlen rumpelte, die den Graben überbrückten. Sie blickten den sich Entfernenden auch nicht nach und so bemerkten sie nicht, dass die Letzte rechts hinten unter ihrem schäbigen Umhang einen leinenen Rock mit gestickter Borte und vornehme Lederschuhe trug, in die Ornamente eingepresst waren.
    Sie war draußen! Der Karren holperte über das gerodete Feld. Einmal wurde sie von der Magd, die die Deichsel führte, angeschrien, weil sie nicht aufgepasst hatte und das Rad auf ihrer Seite gegen einen Baumstumpf rammte. Verstohlen blickte sie immer wieder hinter sich. Das Tor war geschlossen worden, nichts deutete darauf hin, dass man sich an ihre Verfolgung machte. Sie näherten sich mit dem Karren dem Waldrand, wo die Knechte ihre Äxte schwangen und von allen Seiten auf einen Baumriesen einschlugen. Er schwankte bereits und gleich darauf stürzte er. Alles stob mit Geschrei auseinander.
    Diesen Augenblick nutzte Nelda. Auch jetzt achtete niemand auf sie, als sie nach zehn, zwölf Schritten hinter Sträuchern verschwand. Sie war im Wald. Bis zum heiligen Hain hatte sie noch etwa eine halbe Meile zurückzulegen. Ihr Herz klopfte heftig im freudigen Vorgefühl des Wiedersehens mit Segimund. Sie raffte den Rock bis über die Knie und obwohl sie sich schon etwas schwerfällig bewegte, machte sie große Schritte, um nicht zu spät zu kommen. Über knackendes Holz, mit den Füßen immer wieder in Schneeinseln einsinkend, erreichte sie endlich die breite Schneise, die durch den Wald geschlagen war und zum Heiligtum führte.
    Da hinten, ganz am Ende des Weges, sah sie ihn schon. Segimund stand neben seinem Pferd und

Weitere Kostenlose Bücher