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Die Germanin

Titel: Die Germanin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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flüchtigem Priester doch auch ein hartes Schicksal, wenn die Römer zurückkämen. Oder ob er etwa annehme, der Caesar Tiberius werde auf eine arglistige Täuschung ebenso hereinfallen wie seine vertrauensselige Schwester. Da brach er in Tränen aus und stammelte, der Vater habe versprochen, bei Tiberius oder Germanicus ein Wort für ihn einzulegen, doch die Bedingung sei gewesen, dass er bei der Entführung mitmachte. Er tat ihr in seiner Schwäche fast leid, aber sie konnte sich nicht entschließen, es ihm zu zeigen.
    Mit den Alten, ihren Onkeln Brun und Segimer dem Lahmen, plauderte sie manchmal ein bisschen. Die beiden scherzten gern, dass sie zusammen fast neunzig Jahre alt seien. Da sie schon sehr hinfällig waren, hockten sie meist müßig zusammen im Pferdestall oder draußen in der Sonne. Wenn sich Segestes näherte, verdrückten sie sich, weil er immer irgendeine Arbeit fand, für die er sie tauglich hielt. Zahnlos mümmelnd und die Stimmen dämpfend versicherten sie Nelda, sie würden, wäre es nicht zu spät, noch einmal zum Schwert greifen und sich Arminius anschließen. Dann würden sie wenigstens nicht den schändlichen Strohtod sterben, sondern ehrenvoll auf dem Schlachtfeld fallen und von den Walküren zu Wodan nach Wallhall gebracht werden. Vor allem aber müssten sie dann nicht mehr erleben, was hier auf Erden geschehe. Segestes behaupte nämlich, er werde bald König sein. Aber wer könne sich das wünschen? Im Namen der Römer wolle er herrschen und die Cherusker für ihren übermütigen Widerstand strafen. Die Alten seufzten und waren sich einig, dass es in diesem Fall sogar besser sei, vorher den Strohtod zu sterben.
    Die einzige Annehmlichkeit während ihres unfreiwilligen Aufenthalts in der alten Heimstatt bereitete Nelda das Wiedersehen mit Ramis. Die um ein Jahr Jüngere hatte sich zunächst scheu zurückgehalten, weil sie geglaubt hatte, die frühere Freundin werde die Wut auf ihren Entführer Segithank auch auf dessen Frau übertragen. Als Nelda sie aber unter den Frauen entdeckte, hervorzog und umarmte, fiel sie ihr voll überströmender Freude und Dankbarkeit um den Hals. Sie war immer noch eine Frohnatur, wenngleich die Jahre, in denen sie sich nicht gesehen hatten, an ihr viel weniger spurlos vorübergegangen waren als an Nelda. Ihr einst rundes, rotwangiges Gesicht war blässlich und eingefallen, zwei scharfe Falten kerbten es seitlich des Mundes, es fehlten ihr schon viele Zähne und infolge eines Unfalls hinkte sie stark. Fünf Kinder hatte sie geboren, drei waren bisher am Leben geblieben, das Kleinste hatte sie noch an der Brust. Die Kinder und die Mühen, sie zu bekommen und am Leben zu erhalten, waren dann auch für die beiden jungen Frauen Gegenstand lebhaften Austauschs. Ramis, die auch Erfahrung als Geburtshelferin hatte, unterzog Nelda einer gründlichen, zur Zufriedenheit ausfallenden Untersuchung und hoffte, sie werde der Freundin nach etwa eineinhalb Monaten, wenn ihre Zeit gekommen sein würde, Beistand leisten können. Nelda wünschte sich allerdings, bei der Geburt ihres Kindes an einem anderen Ort und nicht mehr Gefangene zu sein.
    An diesem Tag sollte ihre Hoffnung Nahrung erhalten.
    Zunächst drohte wieder eine der unangenehmen Aussprachen, zu denen ihr Vater sie von Zeit zu Zeit nötigte und denen sie sich nicht entziehen konnte. Kaum hatte sie die Felsenplattform erstiegen, ihre Matte ausgebreitet und sich niedergelassen, als sie seine schweren Tritte auf den Stufen hörte. Schnaufend betrat er den Felsen. Er warf ihr nur einen kurzen, aber aufmerksamen Blick zu und stand dann lange schweigend da, die Daumen hinter den Gürtel gehakt und scheinbar versunken in die Betrachtung des Talgrunds tief unten und der Hügelkette gegenüber. Nelda tat so, als kümmerte sie sich nicht um ihn, beobachtete ihn aber aus den Augenwinkeln. Alt war er geworden, noch hagerer als früher, doch immer noch straff. Alles an ihm war eckig: der längliche Schädel, die schmalen, hochgezogenen Schultern, die großen Hände, sogar der graue Bart, den er jetzt wachsen ließ. Wie er so lang und ragend, im dunklen Kittel und mit düsterer Miene geradeaus starrend dastand, ähnelte er dem alten Gott im heiligen Hain, dem Tiwaz. Das fand sie komisch und beinahe hätte sie aufgelacht. Sie bezähmte sich aber, behielt ihre gleichmütige Miene und wartete geduldig darauf, dass er zu sprechen begann.
    »Da sitzt du nun also und spähst dort hinunter«, sagte er schließlich. »Hoffst darauf, dass

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