Die Germanin
ein Tuch, das ihm am Gürtel hing, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Diese Hitze! Jetzt müsste man einen Ausflug ans Meer machen. Hast du nicht Lust?«
»Ich habe zu tun. Die Listen sind noch nicht fertig.«
Sie drehte sich um, doch er ergriff ihren Arm und hielt sie auf.
»Warte doch! Wir könnten ein Wägelchen nehmen. Ein Vorwand findet sich leicht und die fünfzehn Meilen bis zur Küste… eine Kleinigkeit. Niemand wird etwas argwöhnen und ich lasse dich schon nicht entkommen. Ich habe dort einen Freund, der eine Herberge betreibt. Wir werden bei ihm übernachten. Wenn du willst, nehmen wir Thumelicus mit. Wir könnten natürlich auch reiten. Ich weiß ja, Reiten ist deine Leidenschaft. Ich selbst sitze nicht so gut zu Pferde, aber ich werde schon mithalten.«
»Terentius«, sagte sie seufzend, »warum versuchst du es immer wieder? Du weißt doch, ich komme nicht mit. All deine Mühe ist umsonst.«
»Ich gebe nun mal die Hoffnung nicht auf.«
»Lass mich wieder an die Arbeit gehen. Da drüben beladen sie schon die Wagen, morgen beginnt das Fest, sie müssen bis zum Einbruch der Nacht in Rom sein. Die Leute brauchen die Listen.«
»Die wissen schon, wo die Säufer und Vielfraße wohnen, bei denen sie abladen müssen. Trinken wir wenigstens etwas, bevor wir weiter für diese Müßiggänger unseren Schweiß vergießen.« Er winkte eine Magd heran. »Einen Krug mit Mulsum, aber schön kühl!«
Er nötigte Nelda, ihm in den Schatten des Portikus zu folgen, wo eine Bank und ein Tisch standen. Das konnte sie nicht verweigern, immerhin war er in Abwesenheit des Gutsbesitzers der Herr über fünfhundert unfreie Arbeitskräfte, zu denen auch sie zählte. Sie setzten sich und konnten von diesem erhöhten Platz den großen Gutshof überblicken und die Landschaft jenseits des Tores. Hinter den riesigen Feldern, auf denen die Leute des Gutes die Getreideernte einbrachten, erhoben sich sanfte Hügel unter dem blassblauen Himmel.
»Nimm mir nicht übel«, sagte Terentius, nachdem er einen Becher mit Mulsum getrunken und sich gleich nachgeschenkt hatte, »dass mir vorhin dieser Einfall kam. Ich mache mir nun mal Gedanken darüber, was aus dem Jungen werden soll. Du scheinst ja immer noch daran zu glauben, dass du irgendwann mit ihm in deine Heimat zurückkehren wirst.«
»Ja, daran glaube ich«, erwiderte Nelda, die an ihrem Becher nur nippte. »Es wird ja mal Frieden sein zwischen Germanen und Römern.«
»Wenn dein Mann ein so großer Häuptling oder sogar der größte von allen ist, hätte er euch hier längst herausgeholt… irgendwie.«
»Dazu hat er ja nicht die Macht. Und er ist noch immer in Kämpfe verwickelt.«
»Wer kämpft, setzt sein Leben aufs Spiel. Vielleicht ist er längst tot.«
»Davon will ich nichts hören!«, sagte sie schroff. »Will mir das jeder hier einreden?«
Sie schwiegen eine Weile.
»Schade um eine junge Frau«, sinnierte Terentius dann laut, »die ihre schönsten Lebensjahre mit vergeblichem Warten und Hoffen vergeudet. Du solltest dein Leben genießen, immerhin hast du es behalten. Ich habe damals um dich gezittert.«
»Damals?«
»Na, vor drei… nein, vor vier Jahren, als sie dich mitschleppten, dich und den Jungen… im Triumphzug des Germanicus. Ich stand auf dem Forum Boarium unter den Zuschauern. Wie schön und stolz sie daherkommt, dachte ich, mit ihrem Kind auf dem Arm! Wenn sie sie nur nicht hinterher umbringen! Oft wurden die Gefangenen nach dem Triumph gleich hingerichtet. Hattest du nicht schreckliche Angst?«
Nelda erinnerte sich nicht gern an jenen unglückseligen Tag und lächelte gequält.
»Angst hatte ich«, gestand sie. »Wenn auch mehr um den Jungen als um mich. Aber ich wusste auch, dass wir Fürsprecher hatten.«
»Unseren Herrn, den Senator…«
»Ja, den vor allem. Aber auch Germanicus selbst und seine Frau Agrippina. Ihr verdanke ich viel.«
»Dass du in ihrem Triumphzug mitgeschleppt wurdest, als vornehmstes Beutestück?«, fragte Terentius ironisch. »Sie saß neben Germanicus auf dem Wagen.«
»Das ist nun mal so üblich, wie sollte ich es ihr vorwerfen«, entgegnete Nelda. »Viel Übles wird ihr nachgesagt, aber ich kann mich nicht über sie beklagen. Mir wurde durch sie die Gefangenschaft erträglich gemacht. Damals mussten wir dem Heer über den Rhenus folgen und man brachte uns, meinen Vater und mich, in ihr Haus. Dort wurde Thumelicus geboren. Die Geburt war nicht leicht, aber sie sorgte dafür, dass ich Beistand und Pflege
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