Die Germanin
nichts verraten. Es war der größte Teil der Beutestücke, den er und seine Genossen fortschaffen wollten. Alles wurde ihnen abgenommen und zur Rückgabe bereitgelegt.
Erst gegen Abend, bei Sonnenuntergang, erschienen die Römer. Alle Bewohner des Wehrhofes standen zusammengedrängt vor dem Herrenhaus. Es waren einige Hundert, die ängstlich und ungeduldig warteten – die Sippe des Stammesfürsten, sein Gefolge mit Angehörigen, Handwerker, Bauern, Knechte und Mägde. Die Berichte von den Gräueln im Marsergebiet hatten auch viele Menschen aus den Dörfern des Gaus hinter den schützenden Wall getrieben. Die meisten waren schlecht genährt, denn es war spät im Frühjahr und die Getreidevorräte gingen zu Ende. Nicht alle, doch viele blickten hoffnungsvoll, weil sie Segestes glaubten, nach der Rückkehr der Römer würden wieder bessere Zeiten anbrechen. Auf einem Haufen lagen Lanzen, Jagdspeere, Dolche, Schwerter, Keulen, Äxte. Es war von den Siegern im voraus Befehl ergangen, dass niemand bei ihrer Ankunft bewaffnet sein dürfe.
Eine Kohorte marschierte ein und nahm unter dem Kommandogeschnauze der Zenturionen Aufstellung. Vom späten Sonnenlicht angestrahlt, beherrschte das Rot der römischen Uniformen wie eine gewaltige Flamme den Hof. Zu Trommelwirbel wurden Fahnen und Feldzeichen hereingetragen. Ein Trompetenstoß begleitete den forschen, federnden Auftritt des jungen Feldherrn.
Den grauen Kopf geneigt, doch in gerader Haltung, was sowohl Selbstvertrauen als auch Demut ausdrücken sollte, trat ihm Segestes entgegen. Er wagte nicht, ihm die Hand hinzustrecken und blieb drei Schritte vor ihm stehen.
»Salve, Germanicus, Sohn des Imperators!«, begann er und mühte sich, seiner Stimme, die vor Erregung zitterte, Kraft und Festigkeit zu geben. »Ich danke dir und begrüße dich als Freund und Befreier! Mit Recht kann ich eines sagen: dass dieser Tag nicht der erste ist, an dem ich dem römischen Volk meine Treue und Ergebenheit beweise. Der verewigte Augustus beschenkte mich mit dem Bürgerrecht und seitdem habe ich Freunde und Feinde nach euerm Vorteil ausgewählt. Geschah dies aus Hass gegen mein eigenes Volk? Gewiss nicht. Bin ich deshalb ein Verräter? Manche halten mich dafür, aber ich bin keiner. Denn Verräter sind ehrlos und werden auch von denen gehasst, deren Sache sie dienen. Nein, es geschah aus Überzeugung! Es geschah, weil ich sicher bin, dass ihr Römer und wir Germanen das Gleiche wollen und dass Frieden besser als Krieg ist!«
Germanicus, der zu dem alten Cherusker aufblicken musste, rückte an seinem Helm und gab durch ein leichtes Neigen des Kopfes zu verstehen, dass er dieser Ansicht zustimmte.
»Ja, so ist es!«, fuhr Segestes, sicherer werdend, mit erhobener Stimme fort. »Deshalb… nur deshalb habe ich damals den Arminius bei Varus verklagt. Varus war leider nachlässig, sah die Gefahr nicht – ich aber warnte ihn und sagte: Verhafte uns alle… mich, den Arminius und seine Mitverschworenen. So wäre das Unheil vermieden worden. Doch er… er tat es nicht, er vertraute den anderen. Niemals vergesse ich die Nacht, die Zeuge dieser traurigen Vorgänge war! Ich wollte, sie wäre meine letzte gewesen!«
Er seufzte tief und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Germanicus folgte nur mit halber Aufmerksamkeit und warf dabei prüfende Blicke auf die Befestigungsanlagen.
»Was dann geschah«, fuhr Segestes fort, »lässt sich nur beklagen, nicht rechtfertigen. Einen Augenblick schwankte ich und brach euch die Treue. Doch man glaubte mir nicht den Gesinnungswandel – mit Recht – und ich musste die Ketten tragen, die Arminius und sein Anhang mir anlegten. Dafür legte ich später auch ihn in Ketten! Und sobald sich die Möglichkeit bot, trat ich mit dir in Verbindung. Es bleibt dabei: Ich stehe an eurer Seite, ziehe das Neue dem Alten, die Ruhe der Unruhe vor. Belohnung erwarte ich dafür nicht, aber ich hoffe auf Verzeihung. Ich will euch auch helfen, so gut ich kann. Noch schätzen mich viele Cherusker und viele ziehen die Reue dem Verderben vor. Ich könnte in euerm Namen vermitteln!«
Germanicus verzog seine dünnen Lippen zur Andeutung eines Lächelns, das Segestes als Einverständnis wertete. So ermutigt, wollte er schon nach seiner Gewohnheit die Daumen hinter den Gürtel haken, als ihm noch rechtzeitig einfiel, dass diese Geste unpassend wäre. Es gab auch noch weitere heikle Punkte, die er ansprechen musste.
»Ja, da ist noch etwas«, sagte er, indem
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