Die Germanin
meiner Mutter!«
»Deine Mutter ist eine Sklavin!«, höhnte der Ältere. »Wie kann sie die Frau eines Königs sein!«
»Sie ist es aber!«, schrie der Kleine. »Sie ist die Frau des Königs Arminius! Und ich bin ein Königssohn!«
»Du bist auch nur ein Sklave!«
»Sag das nie wieder!«
»Du hast ja auch einen Sklavennamen!«
»Du lügst! Du lügst!«
Der Kleine geriet so in Wut, dass er dem Großen seine Waffe entriss und mit beiden Stöcken auf ihn einschlug. Der Große strauchelte, fiel hin und Blut rann von seiner Stirn.
»Thumelicus! Wirst du wohl aufhören!«
Am Fenster des linken Eckturms der Villa erschien die Mutter des Kleinen. Gleichzeitig eilte, stark hinkend, aus der Gesindeküche, die sich in einem Nebengebäude befand, die Mutter des Größeren herbei. Sie riss dem Kleinen die Stöcke aus den Händen und zerbrach sie. Dann führte sie ihren plärrenden Sohn zum Brunnen und wusch ihm das Blut ab.
»Warum duldest du das?«, ereiferte sie sich dabei gegenüber der anderen am Turmfenster. »Warum erziehst du deinen Sohn nicht? Kein Tag vergeht, an dem er nicht Streit sucht und sich prügeln muss! So ein ungezogener Bengel! Und wozu setzt du ihm Flausen in den Kopf? Warum erzählst du ihm Märchen? Warum sagst du ihm nicht endlich die Wahrheit? Er verträgt sie schon, ist alt genug. Er glaubt, etwas Besseres zu sein als andere Kinder! Mit welchem Recht?«
»Es tut mir leid, Ramis. Aber was soll ich machen? Er will nun mal wissen, wer sein Vater ist!«
»Ach, und du glaubst, der ist jetzt König aller Germanen? Wenn du dich nur nicht täuschst! Bist du denn sicher, dass er überhaupt noch am Leben ist?«
Ramis warf einen letzten grämlichen Blick zum Fenster hinauf und mit ruckenden Schritten, ihren Sohn hinter sich her zerrend, kehrte sie an ihre Arbeit zurück.
Im nächsten Augenblick trat Nelda zwischen den Säulen hervor, die der Halle zwischen den beiden gedrungenen Ecktürmen vorgeblendet waren, und kam die kurze Freitreppe herunter. Nach sechs Jahren Gefangenschaft war sie noch schön, wenn auch hagerer, an der Stirn und den Mundwinkeln zeigten sich Falten. Ihre tiefer in den Höhlen liegenden Augen hatten nach unzähligen durchwachten Nächten einen müden, gleichgültigen, fast stumpfen Ausdruck angenommen. Ihre Nase war spitzer, ihr Mund schmaler geworden. Das blonde Haar der Dreißigjährigen, von grauen Fäden durchzogen, war zu einem dicken Zopf geflochten, der den Rücken herabhing. Der Hitze wegen trug sie nur eine ärmellose, weit ausgeschnittene Tunika. Ein Tuch, das den Busen bedeckte, hatte sie um den Hals geschlungen.
»Thumelicus!«, rief sie. »Komm her! Geh ins Haus! Setz dich hin, nimm einen Griffel und übe die Buchstaben, die ich dir aufgegeben habe! Und dass du dich nicht noch einmal mit Askold prügelst!«
Der Knabe schlenderte mit trotziger Miene herbei.
»Hast du mich verstanden?« Sie untersuchte eine kleine Schramme an seinem Arm. »Wie oft hab ich es dir schon verboten. Er ist doch dein Vetter. Warum bist du so böse zu ihm?«
»Er hat gesagt, dass mein Vater kein König ist«, verteidigte sich Thumelicus. »Und dass ich einen Sklavennamen habe.«
»Das ist nicht wahr, aber deshalb musst du dich nicht mit ihm schlagen. Nun geh!«
Der Knabe stieg schmollend die Treppe hinauf und wich, einen Bogen machend, dem Mann aus, der ihm aus der Halle entgegenkam. Es war der Gutsverwalter, ein rundlicher Kahlkopf mittleren Alters mit flinken Äuglein und einem verschmitzten, verschlagenen Dauerlächeln auf den Lippen.
»Warum tadelst du ihn?«, fragte er. »Soll er doch üben! Je früher er anfangt, desto besser. Dann wird man einen guten Preis für ihn erzielen, wenn es so weit ist.«
»Was willst du damit sagen, Terentius?«, fragte Nelda, auf den kleineren Mann, der neben ihr auf der Treppe stehen blieb, unwillig herabsehend. »Was heißt das – ›wenn es so weit ist‹?«
»Nun, wenn er das Alter erreicht hat… und wenn der lanista kommt und unser Angebot mustert.«
»Du meinst doch nicht etwa…?«
»Warum denn nicht? Junge starke Germanen sind in der Arena ihr Geld wert. Und der Sohn eines so berühmten Mannes, sogar eines Staatsfeindes… Er hat vielleicht eine große Zukunft. Wird selber berühmt. Und dazu reich.«
»Als Gladiator? Niemals!«
»Nun gut«, lenkte Terentius ein, »darüber befinden ja nicht wir beide, weder du noch ich. Ich bin nur ein Freigelassener, hab auch nicht viel zu bestimmen. Es war nur so ein Gedanke, ein Spaß…« Er nahm
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