Die gesandte der Köingin Tess 2
dem Schluss, dass es keine Rolle spielte. Mit vollem, wirrem Kopf schlief ich wieder ein. Später weckte mich die Kälte, und ich stellte fest, dass die Sonne aufgegangen, das Feuer erloschen und Jeck verschwunden war. Mein Messer hatte er mitgenommen, aber ich war zu müde, um ihn auch nur zu verfluchen.
Pferde bestahlen einen nicht auch noch, wenn sie davonliefen.
19
Es dauerte nicht lange, bis ich mich an die Verfolgung machen konnte. Ich hatte nichts zusammenzupacken und trug alles am Leib, was ich besaß. Das Feuer war aus, und das Brötchen, das ich mir gestern Abend aufgespart hatte, war rasch verschlungen. Meine Füße waren sogar in den geschenkten Stiefeln kalt und klamm, und im Geiste dankte ich Penelope erneut für ihre selbstlose Großzügigkeit. Gedanken an warme Bäder, heiße Feuer und die wunderbare Befriedigung, die ich empfinden würde, wenn ich Jecks Hinrichtungsbefehl unterschrieb, setzten mich schließlich in Bewegung.
»Er hat mein Messer gestohlen«, brummte ich und ignorierte das Flüstern des Windes, der mich von den Baumwipfeln aus ansprach. »Er hat mir das Messer gestohlen, das an mir festgebunden war, und ist auf und davon, ohne mich zu wecken.«
Es spielte keine Rolle, dass ich körperlich völlig erschöpft gewesen war und wie eine Tote geschlafen hatte. Es spielte keine Rolle, dass er ein Meisterspieler war und vermutlich magische Fähigkeiten benutzt hatte, um mich weiterschlafen zu lassen, während er das Messer von dem Band um meine Taille schnitt. Es machte mich furchtbar wütend, dass er mir wahrscheinlich deshalb angeboten hatte, meine Schulter zu heilen, weil er dafür sorgen wollte, dass ich tief und friedlich schlief und nicht so leicht aufwachte. Er hatte mir das Messer weggenommen und mich zurückgelassen.
Duncan hatte mich auch schon bestohlen, aber das war immer nur im Scherz gewesen, und er hatte mir alles zurückgegeben, meistens sogar, ehe ich den Verlust überhaupt bemerkt hatte. Aber Jeck …, dachte ich, und meine Schritte wurden zornig und hart, so dass ich sie bis in den Schädel spürte. Jeck hatte aus purer Boshaftigkeit gestohlen. Um zu beweisen, dass er es konnte. Um mich zu zwingen, ohne Messer auszukommen. Und er hatte mich zurückgelassen. Schon wieder. Absichtlich.
Der Wind brauste lauter und forderte die Macht zwischen meinen Ohren zu einem Schwätzchen auf. Erst redete der Wind in den Bäumen, dann antwortete die Stimme in meinem Kopf, bis die beiden ein wüstes Duett sangen, das mich verrückt machte und ablenkte. Der Geist, der in mir gefangen war, hatte aufgehört, die Freiheit zu verlangen, und plapperte jetzt voll entnervender Vorfreude vor sich hin wie ein Kind, das begierig auf eine versprochene Leckerei wartet.
Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder, als ich das Gleichgewicht verlor und taumelte. Ich musste einen großen Schritt machen, um mich zu fangen, und Schmerz flammte auf. Mit zusammengebissenen Zähnen verfluchte ich Jeck, als sei das seine Schuld. Aber wenn ich ganz aufrichtig war, musste ich zugeben, dass es nicht das Messer war, das mich so aufregte. Es war die Aussicht darauf, dass er Kavenlow womöglich vor mir erreichen und dann beschließen könnte, dass es für sein Spiel doch sehr nützlich wäre, meinem Lehrer zu erzählen, was geschehen war.
Pferde sind besser ab Männer, dachte ich und stapfte hinter ihm her. Wenn man einem Pferd sein ärgstes, angstvollstes Geheimnis anvertraute, würde es einem schlimmstenfalls ins Ohr schnauben, aber nicht davonlaufen und es dem Lehrmeister erzählen! Wenn Kavenlow alles herausfand, würde ihm gar keine andere Wahl bleiben, als unser Lehrverhältnis zu beenden. Ich würde das Spiel sofort verlassen müssen, beschämt und mit einem Makel behaftet, statt aller Welt vorzulügen, ich hätte mich dafür entschieden, mit Duncan fortzugehen.
Der Kummer überfiel mich wie aus dem Nichts, dicht gefolgt von Panik, die mich schneller vorantrieb. Ich konnte nicht aus dem Spiel ausscheiden. Es war alles, wofür ich lebte. Duncan hatte unmissverständlich klargemacht, dass ich in seinem Leben willkommen wäre, aber Kavenlow aus freien Stücken zu verlassen, war zu schmerzlich, als dass ich auch nur darüber nachdenken wollte – sogar jetzt, da das Spiel um mich herum in Stücke brach. Es war das Ziel, zu dem mein Weg hingeführt hatte, lange bevor ich überhaupt davon gewusst hatte. Ich war mit einer natürlichen Immunität gegen das Gift geboren und von Jugend an dazu
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