Die gesandte der Köingin Tess 2
Herzen riss ich es an mich und knotete es wieder an dem roten Band fest, obwohl ich das für eine denkbar ungeeignete Stelle hielt, denn ich könnte mich allzu leicht daran verletzen, wenn ich hinfiel. Penelope schien damit kein Problem gehabt zu haben, aber sie stolperte wohl nicht so oft wie ich. Mein Blick schweifte zu dem morgendlichen, geschäftigen Gedränge unter uns, während meine Finger blind den letzten Knoten banden.
Ohne mich anzusehen löste er sich von der Eiche und ging den steilen Pfad zum Tor hinab. »Ich hätte dich besinnungslos schlagen und liegen lassen sollen, bis dich sonstwer findet.«
»Die Besinnung verliere ich schon selbst, danke«, flüsterte ich und holte zu ihm auf. Aber seine Stimme hatte den schwatzenden Wind in meinem Kopf zu leisem Gejammer absinken lassen, und deshalb war ich dankbar für seine Gegenwart.
Ich musste mich ganz auf den Pfad konzentrieren, der den felsigen Abhang hinabführte, und achtete auf nichts anderes mehr, bis wir unten ankamen. Erst als meine Füße wieder auf ebenem Boden standen, bemerkte ich, wie besorgt Jeck aussah. Ich beobachtete ihn genau, während er seinen improvisierten Umhang zurechtzog, um seine Misdever Uniform zu verbergen, ehe er sich dem Gedränge vor dem Tor näherte. Es gelang mir immer besser, seine Gedanken und Gefühle zu lesen. Obwohl er kein Wort sagte, erkannte ich, dass er Menschenmengen nicht mochte, in denen ich mich so geborgen fühlte.
Der schwatzende Irrsinn des Windes in meinem Kopf ging im Lärm der vielen Leute fast unter. Von einer lebhaften Menschenmenge umgeben fühlte ich mich so wohl wie schon lange nicht mehr – seit ich mit angesehen hatte, wie die Strandläufer vor der Middeninsel auf Grund gelaufen war, und ich hatte erkennen müssen, dass ich einen Fehler gemacht hatte, der mein Leben verändern würde. Ich hob den Kopf und schob mich vor Jeck. Ich war zu Hause.
»Bleib hinter mir«, raunte ich und wich einem Karren voller Reisig aus.
»Den Teufel werde ich tun«, erwiderte er beleidigt.
Ich blieb abrupt stehen, ohne mich um die Leute zu scheren, die an uns vorbei zum Tor strömten. Ich hatte endgültig genug von ihm. »Hütet Eure Zunge, Hauptmann«, sagte ich so laut, dass die Leute um uns herum es hören konnten. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie die Köpfe zusammensteckten und die ersten auf uns zeigten. Meiner zerlumpten Aufmachung zum Trotz wurde ich also erkannt. Gut.
Jeck musste das auch klar geworden sein, denn er zwickte mich unauffällig in den Ellbogen und zischte: »Was tust du denn da? Du wirst die Stadt in Panik versetzen, wenn du den Leuten erklären musst, warum wir hier sind, in diesem Zustand und ohne das Königspaar.«
Ich begegnete seinem Blick mit befriedigter Gelassenheit und zog spöttisch die Augenbrauen hoch. »Wir sind nicht mehr in der Wildnis, Hauptmann«, sagte ich. »Du bist ein Misdever Offizier, der einen Prinzen verloren und obendrein zugelassen hat, dass Piraten meine Schwester ein zweites Mal entführen und mein Schiff abbrennen. Ich bin die Schwester der regierenden Königin, und sollten sie und Alex sterben, wäre ich die Thronfolgerin. Die Hälfte der Leute hier war selbst dabei, als sie meinen Titel öffentlich bestätigt hat.«
Jeck runzelte die Stirn, und er beugte sich vor, damit die Umstehenden ihn nicht hören konnten. »Du bist Lehrling eines Spielers. Wenn du dir den Thron nimmst, wird jeder Spieler auf diesem Kontinent über dich herfallen. Sie werden dich vernichten, das Spielfeld deines Meisters in Schutt und Asche legen und sich dann um die Überreste streiten wie ein Rudel Hunde um eine tote Katze.«
Ich löste seine Finger von meinem Arm. »Dass ich ein Lehrling bin, wissen sie aber nicht.«
Meine Aufmerksamkeit wurde von ihm abgelenkt, als die gemurmelten Fragen um uns herum zu einem unvermeidlichen Ruf anschwollen: »Prinzessin Tess?«, rief der Erste. Weitere Köpfe wandten sich nach uns um, und die Leute, die geschäftig in die Hauptstadt strömten, zögerten, hielten inne und wichen respektvoll einen guten Meter vor mir zurück. »Prinzessin Tess?«, kam die Frage erneut, besorgt und verängstigt.
Ich ließ den Blick über die Gesichter schweifen, und er blieb an einem Mann hängen, der sich auf die Kutschbank seines Wagens gestellt hatte.
»Seht!«, rief er und zeigte auf mich, als er meinen Blick bemerkte. »Sie ist es. Das ist die Prinzessin!«
Besorgtes Gemurmel erhob sich wie ein Vogelschwarm. Jeck nahm mich schützend beim Ellbogen,
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