Die gesandte der Köingin Tess 2
du diesen Punkt frühestens in fünf oder zehn Jahren erreichen würdest. Dein Meister hat einen guten Tausch gemacht. Denn nun sind wir quitt.«
Er lief weiter. Ich folgte ihm. »Jeck«, sagte ich und spürte die Angst davor, wozu ich geworden war – was wir beide waren –, schwer wie einen Stein in mir. »Wen … hast du getötet, als du es gelernt hast?«
Seine breiten Schultern spannten sich, und er zögerte kurz. »Eine Frau«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Es war keine Absicht. Vielleicht mochte ich sie sogar. Ich kann mich nicht daran erinnern.«
»Doch, das kannst du«, flüsterte ich, und der kühle Wind ließ eine Strähne meines schlaffen Haars flattern.
Er drehte sich müde um. »Es ist leichter, wenn man es sein lässt.« Ich schluckte und dachte daran, was er gesagt hatte – dass ich ihm wehgetan hatte, statt in einem zornigen Augenblick jemanden zu töten, den ich mochte. Ich wusste, auch ohne ihn zu fragen, dass er diese Frau geliebt hatte, doch es wäre grausam gewesen, wenn ich ihn hätte zwingen wollen, das laut einzugestehen. Er tat mir sehr leid.
Jeck suchte den Horizont hinter mir ab, und sein erschöpfter Blick blieb an dem hängen, was vermutlich das Wrack meines Schiffes war. »Sobald die Flut einsetzt, lassen wir das Floß zu Wasser.« Er begegnete meinem Blick, und ich bekam es mit der Angst zu tun, so leer waren seine Augen. »Rühr mich nie wieder an.«
Ohne ein weiteres Wort ging er zu seinem Floß, mit langsamen Schritten und gebeugtem Rücken. Ich blieb zurück, allein im Wind, der vom Meer hereinwehte und an mir herumzupfte. Rühr mich nie wieder an, hörte ich ihn sagen, während er versuchte, das Salz von seinem getrockneten Uniformrock zu bürsten. Rühr mich nie wieder an.
15
Die Sonne war untergegangen, und der Wind, der vom Wasser hereinwehte, war kühl. Obwohl ich mich fast den ganzen Tag lang im Schatten aufgehalten hatte, fühlte sich meine Haut warm an und glühte ein wenig rötlich, als hätte ich einen Sonnenbrand. Jeck hatte nichts dergleichen. Entweder machte die Sonne seiner dunkleren Haut einfach nicht so zu schaffen, oder er wurde von seiner Fähigkeit zu heilen geschützt – einer Fähigkeit, die er jedoch nicht mit mir teilen wollte, damit ich nicht etwa herausfand, wie das ging. Ich fand es widerlich, dass sowohl Kavenlow als auch Jeck offenbar meinten, ich solle lernen, mit meiner Magie zu töten, es aber keiner von beiden für wichtig erachtete, dass ich damit heilen könnte.
Jecks Floß schwamm, und wenn der Wind uns treu geblieben wäre, hätten wir es auch segeln können. Wir hatten unsere Insel in einer mitternächtlichen Brise mit der Flut verlassen, als diese sich zurückzog. Doch nun war der Wind abgeflaut, und die Meeresströmung hatte nachgelassen. Wir trieben in einer silbrigen Welt aus Mondlicht und weichen Wellen, weit fort von allem und den Strömungen hilflos ausgeliefert.
Jeck hatte kein Wort mehr gesprochen, seit das rechteckige Segel erschlafft war. Segeltuch und Seile hingen wie tot herab. Er saß im Schneidersitz am Rand des Floßes auf der Fläche, die von der Tür gebildet wurde. Nachdenklich beobachtete er die Rochen, die uns geisterhaft begleiteten, ab und zu bis kurz unter die Oberfläche anstiegen und dann wieder hinabsanken. Die beiden Wasserfässer waren an den Mast gebunden, neben dem kleinen Bündel mit den Nahrungsmitteln, die er von der auf Grund gelaufenen Strandläufer hatte retten können. Ich beäugte unseren Nahrungsvorrat. Ich war hungrig, aber nicht hungrig genug, um mit ihm in Streit zu geraten, weil ich fand, dass wir die Vorräte jetzt essen sollten, ehe Wellen und Sonne sie verdarben. Ich erkannte diese Nacht beinahe als die aus meinem ersten Gifttraum, und ich schwor mir, dass ich sie nicht als seine gefesselte Gefangene beenden würde. Ich war gewarnt und damit im Vorteil, und die Zukunft war noch nicht entschieden.
Ich saß mitten auf dem Floß neben dem angebrochenen Wasserfass und hielt mich mit der gesunden linken Hand am Tau darum fest, die Finger an das Holz gepresst. Ich lehnte mit der Stirn an dem feuchten Fass und ließ die rechte Hand durch eine große Lücke zwischen zwei Planken im Wasser treiben. Es fühlte sich an, als stiege die Kühle des Wassers meinen Arm hinauf, um die verbrannte Hitze auf meiner Haut zu lindern. Ich hätte schlafen sollen, doch meine Sorge um Contessa und die Erinnerung an den Gifttraum hielten mich so wach und aufmerksam wie am helllichten Tag.
»Wie
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