Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
also,“ fuhr er dann ernsthaft fort, „es ist nichts als billig, daß Ihr heut dem Undankbaren die gerechte Straf, mir aber etwelche Entschädigung gönnt durch freundliche Gewähr Eurer holden Gesellschaft, so jener sich eben für eine kleine Stunde kühnlich gestohlen.“ Mit diesen Worten bot er Anna den Arm und führte sie an den Tisch, während die Landvögtin dem vereinsamten Schlatter neben sich Platz machte. „Wann Euch die Jugend verschmäht,“ sagte sie mit einem schalkigen Blick ihrer schönen jungen Augen, „müßt Ihr mit dem Alter vorlieb nehmen.“
Nun tollten auch die Kinder herein, halb schüchtern, halb gierig angesichts der reichlich getürmten Küchlein. Das Estherlein aber fehlte, und da man nach ihm fragte und die Pfarrskinder nur mit Kichern und Ellbogenstupfen antworteten, berichtete Anna, daß es etwas mit sich auszufechten habe und man es besser allein lasse.
So nahm die Gesellschaft mit vielfach geteilten Gesprächen ihren Fortgang.
„Wißt Ihr etwas von Braunfels?“ fragte Anna den Junker, sobald sie neben ihm saß.
„Wohl manches,“ erwiderte er vielversprechend, „ich war unlängst auf meiner Herreis’ dort; was ich Euch aber zu erzählen hab’, sollt Ihr ein andermal anhören, maßen ich mir die wohlbegründete Gelegenheit zu einem Besuch nicht so unvorsichtig vorwegnehmen will.“
Enttäuscht, schier ein wenig erzürnt sah ihm Anna ins frische Lachgesicht, und während er ihr allerlei Lustiges und Artiges vorerzählte, sann sie auf ein Mittel, ihm sein Wissen doch abzulätscheln.
Aber da griff die Dübendorfer Pfarrerin, die dem Paar gegenüber saß, in des Junkers Geplauder und Annas Sinnen hinein: „Die Maria ist nicht gekommen,“ sagte sie mit gedämpfter, aber scharfer Stimme, und ihr Gesicht erschien gelber und die Gestalt geradliniger als sonst.
Anna fuhr leise zusammen. Die Tante Regula, wann die den Mund öffnete, etwas Unliebes kam allemal heraus.
„Sie meint, daß sie nicht hingehöre zu den lustigen Leuten,“ antwortete sie tonlos, „und wer weiß, es ist besser so, leicht hätt’ es ihr wehtun können.“
„Aber paßlich ist es nicht,“ gab die andere zurück und juckte ihre rechte Schulter abwehrend nach hinten. „Weder, die heutige Jugend weiß allerdings nimmer, was sich schickt, und zusammennehmen kann sie sich erst nicht.“
„Ja, früher war man wohl klüger,“ sagte Anna ein wenig spöttisch; denn sie dachte daran, wie klug die junge Regula Egli es einst eingefädelt mit dem Onkel Pfarrer und daß man erzählte, sie hätte sich bei der Beerdigung seiner Braut, der schönen Margarete, auf der andern Seite des Grabes dem Bräutigam gegenüber aufgestellt, um solchermaßen durch einen alten Glauben ihre Pläne zu fördern, demzufolge einem Witwer diejenige vorbestimmt war, auf die sein erster Blick übers Grab hin fiel. Die andere fühlte irgendwie Annas geheimen Spott. Sie biß sich auf die dünnen Lippen. „Es geht ungleich,“ fuhr sie dann mit wohlgezieltem Seufzer fort, „wenn ich denk’, wie unsere Kinder alle bereits versprochen, wenn nicht gar verheiratet sind, ob sie wohl allesamt jünger als ihr … Deine Mutter hat kein Glück mit ihren Töchtern.“ Anna antwortete nicht mehr, und ein Wort des Onkels Fähndrich fiel ihr ein: Die Regula, die kann ihren Namen auch mit dreien Buchstaben schreiben, und kommt zuvörderst ein H, zuletzt aber ein x.
Da sie stumm blieb, fuhr die andere spitziger fort: „Was macht eigentlich deine verrühmte Miniatur? Hab’ lang nichts mehr davon gehört? Das mit der Hofmalerin war auch eine kurze Herrlichkeit, ist alleweil so mit den großen Herren, und das Frauenzimmer, sobald es seine Natur verleugnet, wird schon gar nimmer geschätzt.“
„Da irrt Ihr Euch!“ rief der Junker mit heißem Gesicht zu der Pfarrerin hinüber. „Was die Hofmalerin anlangt, so hat mir noch jüngsthin der gräflich Herr eine große Jeremiade angestimmt darüber, daß er eine so vorzügliche Meisterin also früh hätt’ verlieren müssen, und gar sehr bedauert, daß die Waserin mit ihrer Wissenschaft und Künst auf einem Boden zu leben verurteilt sei, allwo das Frauenzimmer gemeiniglich noch zurück und also die richtige Schätzung kaum werde vorhanden sein.“
Er hatte in seiner Entrüstung so laut gesprochen, daß die Worte über die plötzlich verstummte Gesellschaft hin allen vernehmlich klangen. Die Pfarrerin war sprachlos, dafür aber wehrte sich der Landvogt: „ Parbleu, “ rief er erbost, „da soll
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