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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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geben; denn da war einer, der alles wollte, und das Größte am liebsten.
    So königlich hätte sie geben mögen in der Kunst, aber es war ihr mit nichten vergönnt gewesen. Das Kleine wollte man von ihr, das Gefällige; aber das Große, darein sie ihre ganze Kraft hätt’ legen können, wer fragte darnach? Und so war alles verstückelt geblieben, halb und ohne Richtlinien. Jetzt aber konnte es anders werden, und die Ganzheit, darnach sie sich gesehnt hatte all ihr Leben, und das Vollendete, Runde, wohl konnte es noch kommen; nur tapfer mußte man sein, nur hier keine Halbheit, nur in der Liebe kein Markten.
    So hatte sie ihre Plän geopfert und die Träume langer Jahre, und so würde sie — wenn es sein mußte — auch mehr noch geben. Ihre Malerei, war das so was Fürtrefflichs?^ Da hingen die Bildchen rings an den Wänden, größere und kleinere, fertige und unfertige, war da vielleicht ein einziges, das sie so ganz befriedigte? Er aber, da er von ihr ging: „Als ein armer Versprengter bin ich hergekommen, wirr und verstört, als ein Klarer geh’ ich zurück und hat mein Leben die Richtung bekommen, so zur Güte führt und zum Glück.“ Gab es etwas Herrlicheres als sein dankbares und inniges Gesicht? Und der heutige Brief, hatte ihr ganzes eifervolles Leben etwas gezeitigt, das sich diesem vergleichen konnte an Völligkeit und restlosem Begnügen?
    Jetzt erst begriff sie das alte Wort, daß der Weg zum eignen Glück durch des andern Freude führe; aber der Weiser an diesem Weg war die Liebe.
    Und die Liebe öffnete die Augen und machte, daß man alles neu sah und wahr. Da wurde der regenschwere Herbsttag schön und sanft und die dunkle Stube froh, und selbst aus jenen Ecken, wo die Nacht schon saß, sah es sie an wie mit zärtlichen Augen.
    Aber die Liebe machte auch feinhörig, daß man die sämtlichen Töne vernahm bei sich und den andern. Hatte nicht ihr eigenes Leben früher dem kleinen Betzeitglöcklein geglichen, das dünn und einfältig daherklingt? Nun aber waren die großen Glocken dazugekommen, daß es schwer tönte und voll, mit vielen unterschiedenen Stimmen, wie Sonntagsgeläut des großen Münsters. Aber auch bei den andern lernte man neue unerhörte Tön vernehmen, wenn man nur lauschen wollte, und sie wollte lauschen!
    Oft kam es ihr vor, als ob sie mit ihrem Glück wie eine unverdient Bekränzte zwischen den kranzlosen Schwestern ging. Das Glück wollte sie sich abverdienen an den einsamen Schwestern, ehe sie ging. Geordnet und hell sollte es werden in dem ernsten Hause und jegliches begnügt und sicher an seinem Platze, daß sie keine Lücke ließ, wann sie ging.
    Wie ein helles Banner setzte sie diesen Vorsatz vor ihr Leben und folgte ihm mit einem freudigen Glauben durch die kurzen Wintermonate, die sich freundlich und erfolgreich reihten; denn die Liebe war wie ein Zauberstab, und was man anrührte, gelang.
    Wie oft hatte sie früher gesucht, den Ihren zu helfen, beides, mit Willen und wider Willen, es war ihr kaum geglückt. Aber nun war die Kraft da. Es war nicht allein ihre Liebe und die häufigen, ach, so herrlichen Briefe, die den Winter hell machten und reich, und nicht allein in ihrer Kammer war es wie milder Sonnenschein, sondern allenthalben, im ganzen Hause ein frisches und neues Leben. Zuerst hatte ihre Sorge für Elisabeth einen neuen lebenskräftigen Weg gefunden. Ganz vorsichtig und allmählich hatte sie der Zögernden einen Plan in den Kopf gesetzt zu einer Tätigkeit, für die sie paßte wie keine andere. Liebte sie die Kinder nicht über alles und hingen ihr diese nicht an wie einem Mütterlein? Und welch feine Hand sie führte und wie schön sie sang! Wie, wann sie sich ganz mit ihrem Können und ihrer Liebe in den Dienst der Kleinen stellte? Und als der Plan zu Elisabeths Kinderklasse schon reif war und allenthalben Gestalt annahm, da hatte Anna schon wieder einen neuen Vorschlag: in einer solchen Schule, ein rechtes Buch sollte man haben und Schreibvorlagen, darnach die Hand aufs beste zu üben. Aber dieser Plan galt nicht allein Elisabeth, sie selber wollte mithelfen an dem Werklein, und es gelang ihr, auch die stille Maria dafür zu gewinnen; daß aber selbst der Amtmann nicht übel Lust zeigte, mitzuwirken, dieweil er sich seiner genugsam bewunderten Schreibkunst nicht zu schämen brauche, das war doch auch für Anna eine Überraschung.
    So hub denn ein lustiger und eifriger Wettbewerb an, und die langen Winterabende fanden Anna nicht länger allein in ihrer

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