Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
früh in die Ehe getreten; davon ist ihr ein schier kindliches und scheu ängstliches Wesen geblieben all die Zeiten her, und Anna war der Mutter mit ihrer gesunden und lebhaften Art nicht nur eine Stütze und stetige Erfrischung, sondern auch eine rechte Hilfe, da sich die beiden Jüngsten mit großer Zärtlichkeit der Schwester anschlossen. Nun wird zur Entbehrung noch die vermehrte Sorge um die Kinder kommen.“
„Aber,“ wandte Frau Susanna ein, „wie ich höre, habt Ihr doch noch mehrere Kinder daheim?“
„Gewiß,“ entgegnete der Amtmann, ohne daß der bekümmerte Ausdruck ganz von seinem Gesichte schwand, „der Herr hat uns mit sechs lebenden Kindern gesegnet, wovon drei schon erwachsen sind; aber die eine Tochter sieht ihrer Hochzeit entgegen und steht nur noch mit einem flüchtigen Fuß und abgewandten Empfindungen im väterlichen Hause, derweil die andere von einer zu lang hinausgezogenen Brautschaft mehr Betrübnis denn Freude erfährt und ihr verschlossenes Wesen ganz in sich gekehrt hat. Der Sohn aber ist Student und hat sein Interesse auch aus dem Vaterhause verlegt, zudem hat er der Mutter durch leidenschaftliche Unterstützung von Annas Plänen wehgetan, da sie den Weg ihrer Tochter von Anfang an nur mit Ängsten und vielerlei Abmahnen betrachtete.“
„Darin,“ nahm Frau Werner ernsthaft das Wort, „kann ich Eure Frau wohl verstehen. Wir Mütter möchten nun einmal unsern Kindern gern einen leichten Weg und ein warm Nestchen gönnen; die Bahn aber, auf der nun Euer Töchterlein steht, ist steil und steinig und ihr bestes Ziel eine kühle Höhe, der keinerlei Wärme zuströmt. Weiß Gott, ich möchte meine Sibylla auch nicht auf diesem ungewöhnlichen und harten Weg sehen, und, mit Vergunst, Herr Amtmann, ich wundere mich, daß Ihr’s übers Herz bringt. Euer Kind darauf zu stellen.“
Herr Waser straffte seinen Körper: „Ich habe sie nicht darauf gestellt, werte Frau, wenn schon ich sie zuversichtlich und ohne Angst auf dem fremden Wege sehe. Anna hat ihn selber betreten, und, wenn ich mich recht besinne, gehen die Anfänge weit zurück und knüpfen sich vielleicht an ein absonderliches Ereignis aus ihrer frühen Kinderzeit.“
„Das müßt Ihr uns erzählen!“ rief Herr Werner rasch dazwischen, und der Amtmann hub zu berichten an mit einer an seinem Wesen auffallenden Mitteilsamkeit, die wohl mehr den aufsteigenden Erinnerungen als dem in trockenen Schlückchen äußerst mäßig genossenen Burgunder zuzuschreiben war.
„Es geschah zur Zeit, da ich noch in Rüti amtete. Anna war damals ein klein Mädchen von was zu sieben Jahren, das für seine kindliche Einbildung und Spielfreude im alten Prämonstratenserkloster, allwo wir wohnten, in Marstall, Kornhaus und Mühle, auf den Schanzen und Rebhügeln ein gar ergiebiges Feld fand. Am liebsten aber weilte sie im Kreuzgang der alten Abtei, oder sie stöberte in der alten Siechenkapelle und im Gräberhaus derer von Toggenburg oder im Estrich der hochgewölbten Kirche nach allerlei altem und merkwürdigem Kram, wobei ihr des Pfarrers Söhnlein getreulich und mit allem kindlichen Eifer beistand. Auf einer solchen Stöberei geschah es, daß die beiden im Chor der Kirche in einer Schürfung der Tünche Farbe bemerkten und nach schonsamem Loslösen des weißen Verputzes ein Stück von einer darunter liegenden Malerei, nämlich einen zarten und lichtgefärbten Engelskopf, entdeckten. Mit Jubel holten sie ihre Väter herbei; während ich mich aber der schönen und — wie mir schien — wertvollen Entdeckung freute, machte der Pfarrer Billeter, der ein strenger und heißblütiger Herr ist, ein gar bedenklich Gesicht. Niemalen, meinte er, dürfe dieser Schatz ans Licht gebracht werden, da der alte katholische Glaube, der bei dem Volke immer noch gleich diesen Schildereien unter einer nur dünnen Tünche ruhe, in Ansehung alter und für wunderkräftig verrühmter Bilder leicht herfürbrechen und böses Unkraut in seinen Garten bringen könnte. Und ob diese Meinung mir gleich zu streng erschien und die schönen Bilder mich reuten, mußte ich doch in Vertretung meiner gestrengen Herren in Zürich dem Pfarrer recht geben und helfen, die verräterische Stelle zuzudecken.“
Hier fuhr Herr Werner, der den Worten des Zürchers mit wachsender Teilnahme, aber nicht ohne Ungeduld gefolgt war, mit einem lauten „ Sacrebleu! “ in die geordnete Rede und einem heißen Protest gegen jenes Vorgehen im besondern und allen bilderstürmenden Fanatismus und
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