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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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Edelleute, die vielleicht morgen schon in fremde Dienste unter ein streng Kommando gehn und die den heutigen Tag noch genießen wollen, wozu die Laubenschwärmerei nicht das übelste Mittel sein mag. Man pflegt wohl seinen Lebensplan anders einzuteilen und das süße Nichtstun wie das holde Frauenzimmer haben einen breiteren Raum darinnen, wann Abschied und Tod ein steter Faktor find, als wenn man sich in bürgerlicher Arbeit gleichsam für bleibend einrichtet und jeden emsigen Tag sich und den Nachkommen zum mehrenden Besitze fügt. Im übrigen, Herr Amtmann, find’ ich es nicht uneben, wenn man Arbeit und Spiel dermaßen zu mischen pflegt, daß die Arbeit zum erfreulichen Spiel, anstatt das Spiel selbst zur mürrischen Pflicht werde, dieweil ich mein’, Sonnenschein sei jeglicher Pflanze zuträglicher denn ein verhängter und ernsthafter Himmel.“
    Mit diesen Worten waren sie an Herrn Werners Haustüre gelangt und traten nach mancherlei Komplimenten in den dunkeln Gang. Anna dachte, daß über ein kleines ihr Vater durch diese nämliche Türe hinausschreiten und sie drinnen zurücklassen werde, allein in der Fremde, und etwas Würgendes wie von aufsteigenden Tränen kam ihr in den Hals; aber da traten sie schon in den hellen Hof, der mit dem blauen Himmelsfleck und der blühenden Balustrade sich freundlich auftat. Und da war es schon nicht mehr die Fremde, dazu hatte es ein zu warmes und liebes Gesicht, und was nun begann, das war das Leben, nach dem sie so heftig verlangte, das Leben in einer Arbeit, die ihr liebste Freude sein sollte, nicht bloß ein Spiel, o nein, was viel Köstlicheres noch. Ja, nun kam es, und da hingen die goldenen und grünen Flöre, und jeden Tag konnten sie sich heben und etwas von dem Wunderbaren zeigen, das sie ahnungsvoll verbargen.
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    1 frz.: Verlängerung, Anhängsel; auch eine so benannte Perücke. Anm. d. Bearb.
    2 der sechste Sonntag nach Ostern. Anm. d. Bearb.
    3 it.: Potztausend, Donnerwetter. Anm. d. Bearb.
    4 So ganz holdselig scheint, so reich an Sitte
Die Liebste ...
    Dante Alighieri, nach der Übersetzung von Paul Heyse. Anm. d. Bearb.
    5 Blitz, Wetterleuchten. Anm. d. Bearb.
    6 die für ihre Schönheit und außergewöhnliche Intelligenz gerühmte Tochter eines Bologneser Juristen. Anm. d. Bearb.
    7 Bildhauerin der italienischen Renaissance. Anm. d. Bearb.
    8 Kratzfüßeln, Scharwenzeln. Anm. d. Bearb.
    9 Schulmeister.
    10 lat.: Sehr gut gesagt. Anm. d. Bearb.
    11 eine weiche Mischung aus Ton und einem Eisenoxid-Mineral, als Stift zum Zeichnen verwendet. Anm. d. Bearb.
    12 Alter Name des Finsteraarhorns.
    13 frz. contrefait, nachgemacht: Bildnis, Konterfei. Anm. d. Bearb.
    14 frz.: heiliges Feuer. Anm. d. Bearb.
    15 Nichts ist unerträglicher als das gelehrte Frauenzimmer.
    16 großes Leinentuch, Plane. Anm. d. Bearb.

2. Kameraden
    An einem der freien Nachmittage, die Herr Werner ab und zu seinen Schülern gewährte, saß Anna allein in ihrer Turmkammer. Die andern waren alle ausgeflogen, zu Bekannten vor der Stadt oder irgendwo in die Wälder. Es war köstlich in der dämmerigen Einsamkeit des Stübchens, in das die halbgeschlossenen Läden gerade soviel Licht einließen, als man benötigte, um schwarze Buchstaben vom weißen Papier unterscheiden zu können. Und köstlich die große Stille rings, in die nur das kühle ferne Lied der Aare hereinklang und das leise Knistern der mächtigen Feder, die Annas Hand in schlanken Zügen über einen großen Papierbogen führte. Hier und da legte sie den Kiel behutsam auf einen Federwisch, um das eben Geschriebene nochmals zu überlesen, und dann wurde es so still, daß man meinte, das Verrieseln der letzten Rosen zu hören, die vom Garten her ihren müden Atem heraufsandten, oder das zierliche Huschen der Eidechschen, so die Julisonne auf das Mäuerchen herausgelockt hatte.
    Als Anna mit dem umfänglichen Schreiben zu Ende war, entnahm sie einer kleinen Schatulle einen Stoß Briefe, die mit grüner Seidenschnur kreuzweise sorgfältig zusammengebunden waren. Einen Augenblick betrachtete sie zärtlich das kleine Bündel. Es waren die Briefe, die ihr die vierzehn Monate ihrer zurückgelegten Berner Zeit eingetragen hatten. Sie kannte sie alle auswendig. Die meisten davon trugen des Vaters strenge und klare Schriftzüge, seine knappen Berichte, diskreten Ermahnungen und kargen Lobesworte, die jedoch, wie sein spärliches Lächeln, einen ins Innerste hinein erwärmten, und hier und da, meist nur als Nachschrift zu des Vaters Brief,

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